Die Spur der Hebamme
geradezu verzweifelt, aber Christian war kaum noch wiederzuerkennen. Hohlwangig, mit tiefen Schatten unter den Augen, hatte er Mühe, seine Stimme zu beherrschen.
»Wenn keiner von euch oder ein anderer unserer Freunde ihr heimlich zur Flucht verholfen hat – wer hätte es sonst tun sollen? Und wenn es einen unbekannten Retter gab, warum haben wir keine Nachricht von ihm erhalten?«
»Vielleicht ist ihr allein die Flucht gelungen und sie versteckt sich irgendwo«, warf Raimund ein. »In euer Dorf kann sie nicht, dort würde man sie zuerst suchen.«
»Sie ist jetzt seit vier Wochen verschwunden«, antwortete Christian dumpf. »Ich habe Dutzende Leute gefragt, die bei der Wasserprobe dabei waren. Schon auf dem Weg zum Fluss konnte sie sich kaum auf den Beinen halten …«
Mit einem Mal schrie er: »Sie haben sie gefoltert! Dann haben sie sie ertränkt! Sie war praktisch schon tot, als sie sie aus dem Wasser zogen, und ist nur durch eine glückliche Gottesfügung wieder zum Leben erwacht. Und als ob das nicht schon gereicht hätte, hat einer von diesen frommen Mördern sofort angekündigt, sie weiter zu martern. Das konnte sie nicht überleben.«
»Sei vorsichtig«, warnte Raimund leise. »Sonst klagen sie dich auch noch an. Denk an deine Kinder.«
Christian schien seine Worte nicht gehört zu haben. Stöhnend barg er das Gesicht in seinen Händen.
»Es gibt keine andere Erklärung. Sie ist tot. Sie haben sie und unser ungeborenes Kind zu Tode gemartert, und ihr Mörder hat sie irgendwo heimlich verscharrt, um nicht wegen seines Übereifers Ärger zu bekommen.«
Niemand sagte ein Wort oder rührte sich. Nur Raimund legte tröstend seine Hand auf Christians Schulter.
Schließlich sah Christian hoch, das Gesicht von Hass verzerrt.
»Ich werde jeden Stein in der Mark Meißen umdrehen, bis ich ihr Grab gefunden habe. Und ihren Mörder.«
»Komm zu dir, Mann«, beschwor ihn Raimund und drückte seine Hand fester auf Christians Schulter, um zu verhindern, dass sein Freund aufsprang und den erstbesten Geistlichen niederstach, der ihm in den Weg kam. »Du kannst kein Kirchengericht verklagen oder gegen einen Mann Gottes das Schwert ziehen. Du musst dich damit abfinden, so schwer es auch ist. Lasst uns in der Kirche Kerzen für Marthe anzünden und Gebete für ihr Seelenheil sprechen. Das ist alles, was wir jetzt noch tun können.«
»Wir haben sie alle geliebt. Sie war ein guter Mensch«, sagte Gero leise.
»Redet nicht von ihr, als wäre sie tot!«, fuhr Lukas auf. »Das kann und will ich nicht glauben!«
»Du hast nicht gesehen, was ich gesehen habe«, hielt Christian ihm mit ungewohnter Heftigkeit vor. Dann barg er wieder sein Gesicht in den Händen.
»Es gibt nicht einmal ein Grab, an dem ich um sie trauern kann. Ich weiß nicht, ob sie in geweihtem Boden liegt. Wahrscheinlich ist sie zerstückelt und verbrannt und ihre Asche in alle Winde verstreut«, sagte er dumpf.
Niemand erwiderte etwas, denn jeder wusste, was das bedeutete: ewige Verdammnis.
Zögerndes Klopfen unterbrach die Stille. Ein Page trat ein und sagte: »Ritter Christian? Der Markgraf und seine Gemahlin bitten Euch zu sich.«
Langsam stand Christian auf und folgte dem Jungen mit schleppendem Schritt.
Ein gebrochener Mann, dachte Lukas. Und ich bin an allem schuld. Damit kann ich nicht leben.
Otto wird mich auffordern, endlich meinen Dienst wieder aufzunehmen, überlegte Christian verbittert, während er den Palas betrat. Der Markgraf war tags zuvor vom Hoftag zurückgekehrt, während Hedwig schon seit vier Wochen wieder hier war. Weder sie noch einer der Männer, die in ihrem und Ottos Auftrag Nachforschungen anstellten, hatten einen Hinweis über Marthes Schicksal finden können. Das wusste er bereits von Hedwig.
Doch als er die Mischung aus Erschrecken und Betroffenheit im Gesicht der Markgräfin sah, machte er sich innerlich auf eine Todesnachricht gefasst. Er ahnte nicht, dass es sein eigenes Aussehen war, das Hedwig so erschütterte. Selbst Otto starrte ihn an wie einen Geist und räusperte sich kurz, um seine Beklommenheit abzuschütteln.
»Gibt es Neuigkeiten, Christian?«, fragte Hedwig sanft.
Ich dachte, Ihr habt welche für mich, dachte Christian verstört.
»Nein«, antwortete er dann.
Hedwig und Otto sahen ihn unverwandt an. Doch da sie offenkundig nichts sagen wollten, sprach er stockend weiter. »Ich habe überall gesucht, Tag und Nacht. Nichts. Keine Spur. Der einzige Hinweis, den wir gefunden haben, ist ihr
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