Die Spur der Hebamme
ihn erwartungsgemäß bewog, einzulenken. »Wir können nicht hinnehmen, dass eine Dame von Stand wie ein Bauernweib, eine Magd oder eine Hure in Fesseln fortgezerrt wird. Das sollte sich nicht einmal die Kirche herausnehmen dürfen. Als Nächstes schleifen sie gar noch mich in Ketten in ihre Verliese. Du
musst
handeln.«
»Recht hast du«, stimmte er nun zu. »Aber was soll ich tun? Ich kann diesen Hoftag nicht versäumen.«
»Danach wird es zu spät sein. Wer weiß, was die Ärmste in den letzten drei Tagen schon erdulden musste …«
Hedwigs Gedanken waren wie ein Strudel, der sie aus wochenlanger Lethargie riss. »Lass mich zurück nach Meißen reisen. Wir wissen doch beide, dass du nie rechtzeitig zum Hoftag kommst, wenn ich bei euch bleibe. Ich werde beim Bischof vorsprechen. Und gib mir ein paar deiner besten Männer mit, damit sie herausfinden, wer die junge Frau fälschlich angeklagt hat.«
Zu Hedwigs Überraschung war Otto einverstanden.
»Wann brichst du auf?«
»Heute noch. Mein Fehlen kannst du mit meiner Schwangerschaft entschuldigen. Vielleicht ist das sogar besser für dich undUlrich, solange meine Brüder noch nicht wieder beim Kaiser in Gnade sind.«
Und Dietrich wird mich nicht vermissen, dachte Hedwig, denn diesmal nimmt er nicht am Hoftag teil.
Als sie reisefertig waren und Christian Ottos Brief an den Bischof sorgfältig verstaut hatte, drehte er sich zu Lukas um. Die beiden hatten seit der Ankunft des Boten in ihrer Fassungslosigkeit noch kein Wort miteinander gewechselt.
Christian packte den Freund bei den Armen.
»Ich weiß, du willst mit mir reiten und würdest alles tun, um Marthe zu retten«, sagte er gequält. »Aber ich muss dich um einen anderen Freundesdienst bitten. Bring meine Kinder in Sicherheit.«
»Glaubst du denn, das sind sie bei Elisabeth nicht?«
»Dachten wir nicht auch, Marthe wäre dort geschützt? Nimm wenigstens diese Sorge von mir.«
»Gut«, meinte Lukas widerstrebend. »Nur, wo sind sie sicher, wenn der lange Arm der Kirche nach ihnen greift? Bei meinem Vater würde sie niemand vermuten. Aber dorthin könnte ich sie nie bringen. Nicht nach dem, was wir mit diesem Sebastian erlebt haben.«
Er sah Christian an, sein Blick war verstört.
»Du denkst doch auch, dass er sie angezeigt hat? Dass ich die Schuld an alldem habe, weil ich ihn in dein Haus brachte? Dass Marthe vielleicht meinetwegen sterben muss?«
Lukas ließ sich auf die Knie fallen. »Ich kann nicht leben mit dieser Schuld.« Er schnallte sein Schwert ab und warf es zu Boden. »Wenn es so ist, töte mich, tu mir den Gefallen.«
»Steh auf«, sagte Christian mit brüchiger Stimme. »Wir wissen noch nicht, was geschehen ist und wer ihr das angetan hat. Ich brauche jetzt deine Hilfe. Bring die Kinder zu Markgraf Dietrich.Erkläre ihm, was geschehen ist. Wenn überhaupt irgendwo, dann sind sie jetzt bei ihm am sichersten.«
»Ich reite, so schnell ich kann«, versicherte Lukas.
Dann preschten sie los, jeder in eine andere Richtung.
Bevor Christian den Meißner Burgberg hinaufritt, lenkte er seinen Grauschimmel zum Richtplatz. Seine Augen brannten, er wurde zwischen Hoffnung und tiefster Verzweiflung hin und her gerissen, als er vergeblich nach Marthe oder einem Hinweis darauf suchte, dass sie hier getötet worden war.
Er wendete sein Pferd Richtung Stadt und rief die erstbeste Frau zu sich, die ihm begegnete. »Sag, ist hier in den letzten Tagen eine Frau als Hexe hingerichtet worden?«
Die Frau, der Kleidung nach eine Magd, antwortete bereitwillig, offenkundig froh, etwas Klatsch loszuwerden. Vielleicht würde der edle Herr sie sogar für ihre Auskünfte belohnen.
»Hingerichtet – nein, das gab es schon ewig nicht mehr. Aber vor drei Tagen haben sie die Wasserprobe mit einer Frau gemacht, um zu prüfen, ob sie eine Zaunreiterin ist.«
Christians Herzschlag schien plötzlich auszusetzen.
»Wie sah sie aus?«
»Noch jung, zierlich, rotbraunes Haar … Ihr Gesicht war ja kaum zu erkennen, so grün und blau geschlagen war sie. Das Büßergewand hing nur noch in Fetzen an ihr und war auf dem Rücken ganz blutig … Das arme Ding«, fügte sie schnell hinzu, als sie das Entsetzen auf dem Gesicht des Ritters sah.
Was haben sie dir angetan, Liebste!, dachte Christian, während er alle Hoffnungen begrub. Niemand überlebte die Wasserprobe.
»Wo finde ich ihren Leichnam?«, fragte er tonlos. »Oder wurde sie schon begraben?« Gott, lass sie jetzt nicht sagen, dass ihre Asche in alle
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