Die Spur der Hyäne: Thriller (German Edition)
selbst ausmachen.
Jouma seufzte. Es war fast schon eine Erleichterung, die Aufmerksamkeit auf ein Rätsel zu lenken, das ihm nicht ganz unangenehm war – auch wenn er es erst noch lösen musste. Zwei Tage waren vergangen, seit Lol Quarrie von den Gemäuern von Fort Jesus gestürzt war, und Jouma war sich zu neunundneunzig Prozent sicher, dass es sich um einen Selbstmord handelte. Alles deutete darauf hin, dass der pensionierte Witwer, der seinem Lebensabend entgegensah und an einer postoperativen Depression litt, ins Fort Jesus eingebrochen war und sich in einem Anfall einsamer Verzweiflung von der Festungsmauer geworfen hatte.
Das alternative Szenario – dass man den ehemaligen Polizisten mit seinen hundert Kilo am helllichten Tag von einer belebten Straße in der Innenstadt entführt hatte, dass man ihn durch ein verschlossenes Tor ins Fort Jesus geschmuggelt, auf die Mauer gehievt und hinabgeworfen hatte – war so unwahrscheinlich, dass es, ehrlich gesagt, fast schon lächerlich war.
Doch neunundneunzig Prozent sind eben doch keine hundert Prozent, und das nagte an Jouma. So geringfügig der Zweifel auch sein mochte, man konnte ihn nicht einfach ignorieren.
Er musste an die Worte von Dutch Alice denken, der letzten Person, die Quarrie lebend gesehen hatte: » Wenn Sie mich fragen – der war betrunken. Der taumelte rum, redete mit sich selbst, Sie wissen schon. Was Besoffene eben so machen .«
Doch Quarrie war nicht betrunken gewesen. Die Blutanalyse hatte null Promille ergeben, was bewies, dass er am Tage seines Todes nichts getrunken hatte und im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte gewesen war. Und Christie war zu dem Schluss gekommen, dass Quarries Herz – das vor den Operationen noch hoffnungslos verstopft gewesen war vom Dreck eines ganzen Lebens – so perfekt funktioniert hatte wie bei einem halb so alten Mann. Damit war jeder Verdacht auf einen Herztod ausgeschlossen.
Dann war da noch die Frage, wie er überhaupt auf die Mauern des Forts gekommen war. Die Tore waren verschlossen und zeigten keine Anzeichen von Gewaltanwendung. Nach den Angaben des Verwalters gab es keinen anderen Weg, um auf das Gelände zu gelangen, es sei denn, man benutzte eine dreißig Meter lange Leiter oder einen Enterhaken.
Und zu guter Letzt war da noch das Mysterium mit Quarries Kleidern.
Am ersten Morgen, während die Leiche für Christies zartfühlende Behandlung vorbereitet wurde, hatte sich Jouma zur furchterregenden Mrs.Jubumbwe begeben, die im Polizeipräsidium die Asservatenkammer bewachte.
»Wissen Sie, dass das gegen sämtliche Regeln verstößt, Inspector?«, bellte sie ihn an. »Sie müssen das korrekte Formular ausfüllen und unterschreiben lassen.«
»Das ist mir durchaus klar, Mrs.Jubumbwe. Aber wenn Sie dieses eine Mal über die Formalitäten hinwegsehen könnten, wäre ich Ihnen sehr zu Dank verpflichtet.«
Mrs.Jubumbwe gab einen missbilligenden Laut von sich. Sie stand hinter einer kleinen vergitterten Öffnung, die sie und die über dreitausend Ermittlungsakten und Aufbewahrungsboxen für Beweismaterial von den gierigen, leichtfertigen Händen der Außenwelt trennte. Die kleine, nahezu kugelrunde Frau verfügte über ein enzyklopädisches Wissen in ihrem Bereich, was sie wahrscheinlich zu einem der wertvollsten Aktivposten des Polizeipräsidiums machte, obwohl sie nur eine Zivilangestellte war.
»Wie war der Name des Verstorbenen?«
»Quarrie. Q-U- …«
»Ich kann selbst buchstabieren, vielen Dank.«
Sie drehte sich um, watschelte durch die Regalreihen und kam nach weniger als einer Minute mit einem festen Karton zurück.
»Da Sie das korrekte Formular nicht beibringen konnten, dürfen Sie mit den Beweismaterialien nicht das Zimmer verlassen«, verkündete Mrs.Jubumbwe. »Sie können sich an den Tisch dort setzen, da kann ich Sie im Auge behalten.« Sie schob das Gitter beiseite und reichte den Karton durch die Öffnung.
Jouma nahm ihn mit an den Holztisch und hob den Deckel an. Darin lagen Lol Quarries Kleider und Besitztümer, einzeln in Plastiktüten verpackt. Er spürte Mrs.Jubumbwes laserscharfe Augen auf sich, während er behutsam das Sakko, das Hemd und die Hose des Toten aus dem Karton nahm und auf den Tisch legte.
Alle drei Kleidungsstücke hatten dieselben großen, braunen Blutflecken, und Schulterpartie und Revers des Sakkos wiesen immer noch Spuren von Hirnmasse und Knochensplittern auf. Doch Jouma konnte noch etwas anderes erkennen, was er vorgestern
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