Die Spur der Kinder
sie plötzlich innehielt. Zögernd wandte sie sich um und spähte auf das heruntergekommene Türschloss, als ihr der Schlüssel in den Sinn kam. Was hatte der Typ im Schlüsselladen gesagt? 60er-Jahre-Plattenbau?
Sie fingerte den Schlüssel aus ihrer Handtasche. Fiona spürte, wie ihr Puls beschleunigte, als sie den Schlüssel vorsichtig zum Türschloss führte. Er passte nicht. Fiona versuchte es ein weiteres Mal. Fester. Ruckartiger. Dann rasteten die Metallzähne plötzlich ein.
Der Schlüssel passt.
Die ernüchternde Erkenntnis zog Fiona förmlich den Boden unter den Füßen weg. Mit einem Malergab alles einen Sinn: Adrians schockiertes Gesicht, als sie ihm Theresa auf der Jubiläumsparty in der Riedelei vorgestellt hatte, sein seltsam verstörtes Verhalten am Yachthafen, sein aggressiver Unterton, wenn sie auf Theresa zu sprechen kam.
Der Wohnungsschlüssel war der endgültige Beweis, dass sich Fiona auf ihre anfängliche Intuition hätte verlassen sollen.
Für den Bruchteil einer Sekunde wurde ihr ganz schwarz vor Augen. Dann schloss sie, voller Wut, Enttäuschung und heftigen Adrenalinschüben, die Wohnungstür auf, um die Frau zur Rede zu stellen, die ihr, ohne mit der Wimper zu zucken, ins Gesicht gelogen hatte.
***
(Berlin, Polizeipräsidium)
»Ich frage Sie jetzt zum letzten Mal, Herr Brommer: Wo waren Sie am Sonntag zwischen zwölf und sechzehn Uhr?« Frauke Behrendts schroffer Tonfall hallte durch den Vernehmungsraum.
Der kahlköpfige ältere Herr lehnte sich im Stuhl zurück. »Wie ich schon sagte, ich war spazieren. Es war strahlend blauer Himmel, und wer weiß, wie lang das gute Wetter noch anhält.«
Behrendtblickte über die Schulter zu Piet Karstens, der mit verschränkten Armen schräg hinter ihr stand. Dann meinte sie: »Aha. Spazieren. Und wo?«
Fritz Brommer hob die Schultern. »Eben da, wo ich immer langlaufe. Durchs Regierungsviertel. Am Kanzleramt vorbei und dann immer weiter am Ufer entlang« , erklärte er mit einer ausladenden Handbewegung.
»Ziemlich ausgiebiger Spaziergang«, fand Behrendt. »Sie scheinen recht gut in Form zu sein, was?«
»Ich nicht, aber der da«, grinste Brommer und deutete auf seinen Gehstock.
Behrendt stand auf, lief um den Tisch herum, auf dem ein Glas Wasser, ein leerer Aschenbecher und ein Mikrofon standen, und griff nach Brommers Gehstock.
»Massives Holz«, bemerkte sie und schwang den Stock wie einen Baseballschläger. »Ich nehme an, es gibt jemanden, der bezeugen kann, dass Sie spazieren waren?« Sie stellte den Stock zurück und setzte sich Brommer wieder gegenüber.
Bedächtig schüttelte Fritz Brommer den Kopf. »Nein, ich war allein unterwegs.«
»Ganz alleine. Verstehe. Lassen Sie mich raten: Natürlich haben Sie bei strahlendem Sonnenschein, bei dem sonntags Hinz und Kunz unterwegs ist, auch niemanden getroffen, der das bezeugen könnte?«
»Sie sagen es«, erwiderte er.
»Unddanach?«
Brommer schnaufte. »Danach war ich den Rest des Tages auf meinem Zimmer.«
»Auch wieder ganz alleine?«
»Nein, mit meinen achtzigjährigen Liebhaberinnen aus dem Seniorenstift!«, lachte er höhnisch. Er blickte abwechselnd zu Behrendt und Karstens. Plötzlich verlor er sein Lachen. »Sagen Sie mal, verdächtigen Sie jetzt etwa mich?«
Behrendt musterte ihn mit gespitzten Lippen.
»Wir machen hier nur unsere Arbeit«, räusperte sich daraufhin Piet Karstens. »Solange der Täter nicht gefasst ist, müssen wir alles und jeden in Betracht ziehen.«
Entsetzt hob Brommer die Hände. »Aber ich bin unschuldig!«
Karstens machte ein paar Schritte durch den Raum, ohne den Blick von dem älteren Herrn zu nehmen. »An der Lilie, die der Mutter der entführten Luna García zugestellt worden war, wurde ein Haar sichergestellt, Herr Brommer.«
»Was denn für ’ne Lilie? Wovon reden Sie da eigentlich? Ich hab mit der Sache nichts zu tun!«
»Wenn das so ist, dann dürfte es ja sicher kein Problem für Sie sein, wenn wir eine Speichelprobe von Ihnen nehmen«, sagte Karstens trocken.
Brommer verschränkte die Arme. »Ein DNA -Test? Ts, das ist doch lachhaft«, schimpfte er, zog ein kariertes Stofftaschentuch aus der Hosentascheund tupfte sich ein paar Schweißperlen von der Glatze. »Sehe ich etwa aus wie einer, der sich an kleinen Kindern vergreift?«
Karstens blieb stehen, hob eine Braue und zog seine Mundwinkel hoch. »Wenn man den Leuten an der Nasenspitze ansehen könnte, ob sie schuldig sind oder nicht, wären wir hier wohl alle
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