Die Spur der Kinder
Mann!«, fuhr Funk zurück. Undmehr um Zeit zu schinden, sagte er: »Beginnen wir mit der Vorstellung.«
»Kluges Kerlchen«, grinste der Mann triumphierend, spulte die Videokassette im Rekorder zurück, drückte die Play-Taste und stierte zufrieden auf die Mattscheibe. Die erste Szene zeigte einen vollbärtigen Mann, der im dämmrigen Licht der Glühlampe bäuchlings auf dem Campingtisch lag. Entkleidet. Die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Der Förster. Angsterfüllt blickte er in die Kamera, tat, wie ihm geheißen, und nannte seinen Namen. Die Kamera zoomte auf die unzähligen Schnittwunden seines nackten Körpers, fing jegliche Zuckung und jedes schmerzliche Aufstöhnen ein.
Erschüttert wandte Funk den Blick ab.
»Schau da hin!«, befahl ihm der Mann und strafte Funk mit einer Ohrfeige ab. »Da! Das bin ich!«, erklärte er. Plötzlich wieder kindlich beschwingt, starrte er gebannt auf das Video, auf dem er selbst nun das Gewehr des Försters zur Hand nahm, es entsicherte und wahllos auf sein Opfer schoss, bis der Mann, wie erlegtes Wild, regungslos auf dem von Blut glänzenden Campingtisch lag.
Wie gelähmt blickte Funk auf den Fernseher. »Gratulation, hast du toll gemacht«, sprach Funk, als rede er auf ein Kleinkind ein, das für seine ersten Gehversuche gelobt werden wollte. Zu Funks Erstaunen kamen keine Widerworte. Nicht der allerkleinsteProtest. Nur ein geschmeicheltes Lächeln.
Dann legte sein Peiniger die nächste Videokassette ein, auf der zwei Pfadfinder zu sehen waren, die nichts ahnend in den Keller eingedrungen waren und sich neugierig umschauten.
Erleichtert atmete Funk aus, als auf dem Bildschirm, wie durch ein Wunder, nur noch Schneeflimmern zu sehen war.
»So eine Scheiße!«, fluchte der Mann und hastete zum Rekorder. Er riss die Kassette heraus und legte sie ein weiteres Mal ein. Auch dieser Versuch scheiterte. Er tobte vor Wut, und es dauerte eine Zeitlang, ehe er sich fasste und eine neue Videokassette einschob. Sascha Funk gefror das Blut in den Adern, als er das Mädchen auf dem Video erkannte.
***
(In Berlin-Mitte)
»›Die Angeklagte Katrin Taubert wird zu elf Jahren Haft verurteilt‹, brachen die Worte der Richterin über sie herein. Katrin leistete keinen Widerstand, als sie im Gerichtssaal in Handschellen abgeführt wurde. Sie wusste, ihr Anwalt würde Revision einlegen wollen, doch ihr war es vollkommen gleich, wie viele Jahre sie hinter Gittern sitzen würde. Sie hatte ihr Kind umgebracht,und nichts auf der Welt würde ihr kleines Mädchen wieder lebendig machen – das war die einzig wahre Strafe …«, schrieb Fiona, als es an der Tür zu ihrem Arbeitszimmer klopfte. Sie speicherte die letzten Zeilen ab und klappte ihren Laptop zu. »Ja?«
Adrian trat herein und hielt einen Bund Spargel hoch. »Hier, ich hab frischen Beelitzer aus der Riedelei mitgebracht.«
»Danke, ist lieb, aber ich wollte nachher was mit Theresa essen«, erklärte sie beiläufig.
»Mit Theresa?«
Sie nickte. »Ich war vorhin wieder beim Meeting der Anonymen Alkoholiker. Und Theresa – sie war irgendwie so seltsam, war total verheult, warum, weiß ich nicht, ich bin erst später dazugekommen, und dann ist sie plötzlich rausgestürmt, mitten im Meeting. Das passt gar nicht zu ihr. Es lässt mir irgendwie keine Ruhe«, erzählte Fiona und legte eine nachdenkliche Miene auf. »Ich habe sie angerufen und ihr gesagt, dass ich noch das Kapitel fertigschreibe und dann bei ihr vorbeischaue.«
Natürlich nicht aus reiner Nächstenliebe , dachte Fiona, behielt den Gedanken aber für sich. Theresa war ihr nie ganz geheuer gewesen, doch seit dem AA-Meeting heute wurde Fiona das Gefühl nicht los, dass Theresa etwas verheimlichte, das auch sie etwas anging.
Adrian starrte Fiona verwirrt an.
»Istnoch was?«, fragte Fiona und klappte ihren Laptop wieder auf.
»Nein, nein.« Er hob die Schultern. »Es ist nur … Wir sehen uns dann wohl nicht mehr, bevor ich nach Bordeaux aufbreche.«
»Aber ich dachte, du fährst erst morgen?«
Adrian lächelte und küsste sie die Stirn. »Ich musste einen Termin bei einem der Winzer umlegen.«
Mit halb geöffnetem Mund sah Fiona ihn an. »Na, wenn das so ist, dann lass uns doch noch zusammen essen.«
Abwesend nickte Adrian. Dann griff er sich plötzlich an den Kopf. »So ein Mist! Ich habe die Inventarliste im Weinkeller liegenlassen. Ich muss noch mal in den Laden.«
»Und der Spargel?«
»Tut mir leid. Ich pack ihn ins Kühlfach. Schreib du ruhig dein
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