Die Spur der Kinder
losen Türschlüssel in der Hand die Wohnung betreten hatte.
»Theresa?«
Niemand antwortete. Fiona folgte der Musik, die leise über den Flur drang. Ein alter Prince-Song. Suchend lief Fiona durch die kleinen Zimmer mit den niedrigen Decken. Es roch nach kaltem Zigarettenrauch. Abgetretene Teppiche im Flur. Abgewohnte, schlichte Möbel im Wohnzimmer. In der Küche über dem Esstisch ein Lebkuchenherz vom Jahrmarkt, das sagte: »Du bist meine Zuckerpuppe.« Plüschkissen auf dem Bett im Schlafzimmer. Auf dem Nachttisch eine Packung Kleenex. Ein buntes Swatch-Telefon. Ein Fläschchen Babyöl. Fiona kam nicht umhin, sich vorzustellen, was sich hier hinter ihrem Rücken abgespielt haben musste, als sie Theresa auf einmal neben dem Bett fand. Erschrocken taumelte Fiona zurück. Theresa lag auf dem Rücken, die Hände und Füße von sich gestreckt, den Mund leicht geöffnet.
»Oh Gott, Theresa!«
Sie lag in ihrem Erbrochenen und rührte sich nicht, lediglich ihre Augen flackerten vereinzelt auf. In der Vene ihres rechten Unterarmes steckte eine Spritze.
EinSchauer jagte Fiona über den Rücken. Rasch schnappte sie sich ein Kissen vom Bett und schob es Theresa unter den Kopf. »Theresa! Kannst du mich hören?«
Theresa entwich ein kraftloses Stöhnen. Doch ihre Miene, die sie stets unter einer dicken Make-up-Schicht wie hinter einem Schutzschild verbarg, zeigte nicht die allerkleinste Regung. Dann plötzlich: Ganz leicht öffnete Theresa den Mund und brachte ein kaum hörbares Wispern heraus, das Fiona nicht verstand.
»Theresa! Bleib hier! Los, sieh mich an! Halt durch!«, rief Fiona energisch, biss sich auf die Unterlippe und zog mit spitzen Fingern die Spritze aus Theresas Vene, aus der nun einige Tropfen Blut quollen.
»Was ist passiert, Theresa?«
»Es tut mir leid …«, japste sie leise.
Fiona strich ihr die roten Haare aus dem nassgeschwitzten Gesicht.
»Ich weiß … schon gut, das ist jetzt nicht wichtig«, redete Fiona auf sie ein. »Sag mir lieber, was passiert ist.«
Theresa bewegte die Lippen, brachte jedoch erneut nur ein heiseres Flüstern heraus.
Fiona beugte sich mit dem Ohr über Theresas Gesicht. Doch Theresa entwichen lediglich zwei letzte Worte: »Adrian … Sophie …«
»Sophie? Was ist mit Sophie? Theresa, komm schon,was weißt du über Sophie? Was willst du mir sagen? Bitte, Theresa!«
Noch einmal gab Theresa ein Ächzen von sich, doch sie antwortete nicht mehr.
»Nein, Theresa, komm schon!«, schrie Fiona und ohrfeigte sie sachte, bevor sie hektisch nach ihrem Puls tastete. Dann riss sie Theresas Satinbluse auf, stemmte sich auf ihr Brustbein und versuchte, sie mit aller Kraft zu reanimieren.
»Komm schon!«, brüllte Fiona und versuchte es unentwegt wieder.
Es dauerte eine ganze Weile, ehe sie begriff, dass ihre Mühen umsonst waren. Mit zwei Fingern schloss sie Theresas Augenlider.
Was wusstest du über Sophie?
Erschöpft sank Fiona mit dem Rücken gegen das Bett, hielt sich benommen den Kopf und betrachtete die alten Einstichnarben auf Theresas Unterarmen, die davon zeugten, dass Theresa einst an der Nadel gehangen hatte.
Fiona mochte sich in vielerlei Hinsicht in Theresa getäuscht haben, dennoch bezweifelte sie, dass Theresa nach all den Jahren wieder zu fixen angefangen hatte. Sie hatte Theresa als eine echte Kämpfernatur erlebt, nicht nur bei den Anonymen Alkoholikern. Oder sollte das alles nur Fassade gewesen sein? Fiona griff das Telefon vom Nachttisch, um Kommissar Karstens anzurufen, als sie einen Bilderrahmen unter dem Bett erspähte. Sie legtedas Telefon beiseite und zog das Bild hervor, dessen Anblick ihr einen Stich ins Herz versetzte.
Hinter gesprungenem Glas lächelten Adrian und Theresa, eng umschlungen an Deck der Blue Star . Fassungslos hielt Fiona das Bild in beiden Händen und betrachtete es eine Weile, bevor sie es in ihrer Handtasche verschwinden ließ, die Tränen von der Wange wischte und sich zwang, im Kommissariat anzurufen.
***
(Im Polizeipräsidium)
»Ich will sofort mit meinem Anwalt sprechen!« Fritz Brommer sprang auf, sein Stuhl schlug auf dem Boden auf. »Eher sag ich überhaupt nichts mehr!«, giftete er Piet Karstens und Frauke Behrendt an, als die Tür aufging und Kikki in die Vernehmung platzte.
»Piet, tut mir leid, aber da ist eine Frau Seeberg in der Leitung, sie sagt, es sei dringend – und sie besteht darauf, nur mit dir zu sprechen.«
Sofort entwich Frauke Behrendt jenes hämische Grinsen, das Karstens in letzter Zeit
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