Die Spur der Schuld - Private L.A.: Thriller (German Edition)
Frieden aus. Es schien ihm gutzugehen. Hoffte ich jedenfalls.
Als mein Schatten über ihn hinwegstrich, blickte er mit zusammengekniffenen Augen, die Sonne mit der Hand abschirmend, zu mir auf. »Glaub ja nicht, ich würde mich dafür bedanken, Bruder. Ich habe gerade überlegt, wie ich in einem Bademantel fliehen könnte.«
Ich setzte mich in den Liegestuhl neben ihm. »Willst du mir denn danken, weil ich zu Carmine Noccia gegangen bin und ihm einen Barscheck über sechshunderttausend Dollar gegeben habe?«
»Klar. Danke.«
»Es ist ein Darlehen, Tommy. Nur damit du es weißt. Und ich habe Annie nicht gesagt, dass die Mafia dein Auto in eine Bombe verwandeln oder vielleicht euer Haus in die Luft jagen wollte.«
»Bekommst du nie Kopfschmerzen? Bei diesem Heiligenschein, der die ganze Zeit um deine Ohren schwirrt?«
»Doch, bekomme ich. Du solltest mich endlich auch mal den bösen Zwillingsbruder spielen lassen. Würde mir gefallen.«
»Onkel Fred war hier«, erzählte Tommy. »Er hat gesagt, da würde was auf mich warten– wenn ich meine Sachen geregelt habe.«
»Was ist eigentlich das Problem zwischen dir und Fred? Das habe ich nie verstanden.«
»Als ich noch ein Kind war, hat er seine Hand in meine Hose gesteckt und an meinem kleinen Ding gespielt.«
»Du bist ein Arsch, Tom.«
»Das hat er. Ich schwöre es bei Gott, Jack. Bei den Augen unserer Mutter.«
Ich stand auf, packte Tommy am Revers seines Bademantels und versetzte ihm einen Schlag gegen den Kiefer, der seine Knochen knirschen ließ. Tommy kippte mitsamt seinem Stuhl nach hinten.
Ein kräftiger Typ in weißem Overall rannte von der anderen Seite des Pools auf uns zu.
Tommy hob eine Hand, um anzudeuten, dass der Streit bereits zu Ende war. Er erstickte fast vor Lachen, als er wieder aufstand. »Du bist so leicht dranzukriegen, Jack. Als würde man an einer Angelschnur einen Köder aufhängen, und du springst aus dem Wasser gleich ins Boot. Geh weg von mir. Du machst dir deine Flügel schmutzig.«
»Nimm zurück, was du gesagt hast.«
»Okay. Ich nehme es zurück. Vielleicht war es Dad, der mich sexuell belästigt hat. Oder warst du es?«
»Wie kannst du dich nur selbst ertragen?«, fragte ich ihn.
»Es war der fette Fred, der dir von meinen Schulden erzählt hat, oder?«
Meine Knöchel juckten. »Es ist immer schön, dich zu sehen, Tommy. Pass auf dich auf.«
»Tschü-hüss, Jacko.«
Er lachte noch immer, als er seinen Stuhl wieder aufrichtete.
Ich ging zurück zur Verwaltung und bezahlte Tommys Rechnung für den Rest des Monats. Das Mädchen hinter dem Schreibtisch war sehr nett und fragte, wie es meinem Bruder gehe. Ich konnte ihr keine Antwort geben, reichte ihr nur meine Kreditkarte und rannte, als die Zahlung abgewickelt war, wie der Teufel hinaus.
Es ist hart, wenn man seinen eigenen Bruder hasst.
67
Ich legte zu Hause einen Zwischenstopp ein, um meine Flügel zu wechseln und meinen Heiligenschein aufzupolieren.
Ich musste mir etwas Gutes tun. Deswegen ging ich ins »Masto’s«, eines der besten Steakhäuser westlich von Kansas City. Die Atmosphäre war auf Retroschnulze ausgerichtet, aber nicht allein, weil jemand »My Way« am Klavier sang.
Joseph Ricci und Francis Mosconi saßen heftig diskutierend in einer Ecke. Sie bemerkten mich nicht. Ich bat den Kellner um einen ruhigen Tisch im oberen Stock. Dort bestellte ich einen Highball und nahm mir die Speisekarte mit den wahnsinnig guten Rindersteaks vor, für die das Restaurant bekannt war.
Mein Longdrink, ebenso erste Sahne, brachte mich zur Ruhe. Ich hatte ein Buch mitgenommen, ein abgenutztes Taschenbuch, Ich ein Tag sprechen hübsch von David Sedaris. Er ist brutal ehrlich und zum Schreien komisch, und sein Familienleben scheint fast genauso Schrott gewesen zu sein wie meins.
Der Leiter unseres Büros in London rief mich an. Ich nannte ihm meine Wahl für den Stellvertreter, dann machte ich mich wieder an mein Buch.
Langsam kam ich mir wie ein Prinz vor, einer der wenigen Auserwählten in L. A. Ich hob meinen Blick erst wieder vom Buch, als mein Rib-Eye-Steak mit Knochen und meine Wildbrokkoli vor meinen Augen auftauchten. Doch sobald ich mein Buch zur Seite gelegt hatte, kreisten meine Gedanken wieder in der wahren Welt.
Ich dachte über meinen Bruder nach, der drei Minuten älter war als ich und meinem Vater so sehr ähnelte, dass ich ihn allein deswegen nicht mochte. Tommy war auf jeden Fall so narzisstisch, wie unser Vater es gewesen war, und ebenso arrogant.
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