Die Spur der verlorenen Kinder
sich.«
»Sagen wir es so, Agent Sheppard. Pädophilie ist eine psychische Krankheit, deren Wurzeln normalerweise weit zurückreichen. Es ist kein Hobby. Es ist kein Interesse, das jemand plötzlich und ohne Vorwarnung entwickelt. Wenn er diese Kinder entführt hat, dann aufgrund irgendeines grandiosen Plans, der niemandem sonst sinnvoll erscheinen wird, ein größeres Bild, das Sie und ich nicht erfassen können.«
»Zum Beispiel, Kinder zu retten, von denen er glaubt, dass sie aus dysfunktionalen Familien stammen?«, fragte Sheppard.
»Das würde passen. Aber das ist nur der Auslöser. Da geschieht noch etwas auf einer tieferen Ebene.«
»Haben Sie ihn, nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, noch einmal wiedergesehen?«
»Nur einmal. Bei der Beerdigung seines Stiefvaters fünf oder sechs Jahre später. Er war an der Uni und versuchte, sein Leben in den Griff zu bekommen, zumindest erzählte er mir das. Er erzählte mir auch, dass er sauer wäre, dass der alte Mann alles, was er und seine Mutter besessen hätten, versoffen hatte. Ich war nicht überrascht, als ich las, dass er in die Lenier-Familie eingeheiratet hatte. Das ist genauso eine Nummer, wie Wheaton sie abzieht, um seine Gier zu befriedigen. Nach all den Jahren bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Gier die Basis für Patricks Krankheit bildet.«
»Gier? Das ist alles? Er ist der Typ aus Wall Street? «
»Gier gilt nicht immer dem Geld, Agent Sheppard, zumindest nicht aus psychiatrischer Sicht. Patricks Gier handelte davon, dass er glaubte, das Leben schuldete ihm etwas. Und wenn das Leben es ihm nicht lieferte, dann würde er – bei Gott – sich nehmen, was er wollte, und auf die Konsequenzen scheißen.« Er machte eine Pause, dann setzte er hinzu: »Das ist etwas, was er mir auf der Beerdigung seines Vaters sagte. ›Eines Tages, Dr. Ring, werden auch Sie auf die Konsequenzen scheißen.‹ Ich schätze, das ist genau das, was ich gerade tue.«
Resignation: Das war es, was Sheppard jetzt in der Stimme des Mannes hörte. »Was glauben Sie, wohin er mit einer halben Million Dollar verschwunden ist? Wo würde sich jemand wie er sich neun Jahre lang verstecken?«
»Irgendwo, wo wir anderen niemals nach ihm suchen würden.«
***
Draußen war es mittlerweile pechschwarz. Insekten schwirrten gegen die Fenster. Nadine war von ihrer Yogastunde zurückgekommen und hatte ihnen allen eine große Kanne kubanischen Kaffee gekocht. Dann half sie, die Informationen durchzusehen.
Sheppard nahm sich die ursprüngliche Akte vor, die über Wheaton angelegt worden war, und fand vergraben in Dutzenden von Seiten eine Referenz auf Peter Wheat und sein Konto bei einer Bank in Miami, dazu die Sozialversicherungsnummer, die er angegeben hatte. Die Nachfrage bei der Sozialversicherung ergab, dass die Nummer zu einem Mann gehörte, der 1919 geboren und 1960 gestorben war. Die Mitarbeiter der Bank hatten sich offensichtlich nicht die Mühe gemacht, die Nummer zu überprüfen, und Wheaton hatte das Geld nicht auf einmal eingezahlt. Wenn er das Konto länger als nur ein paar Monate unterhalten hätte, wäre ihm die Bürokratie wahrscheinlich auf die Schliche gekommen, bevor seine Frau bemerkt hätte, dass er sie bestohlen hatte.
Sheppard rief ancestry.com auf, eine genealogische Seite der Mormonenkirche, und tippte Wheats Namen ein, um zu sehen, was das ergab. Auf der Site gab es alle möglichen interessanten Links, Foren und Informationen über Geburtstage, Hochzeiten, Todesfälle. Er wollte Peter Wheats Todesdatum verifizieren und herausbekommen, ob noch andere Wheats gelistet waren.
Sechs Einträge für Wheat, Peter erschienen. Der zweite, geboren im Januar 1919, war der Mann, dessen Namen Wheaton übernommen hatte. Sein Todestag war mit dem 4. April 1960 angegeben. Vier weitere Wheats waren deutlich jünger und lebten noch. Der letzte Eintrag aber überraschte Sheppard. Das Geburtsdatum war dasselbe wie bei dem anderen Wheat, 4. Januar 1919, aber als Todesdatum war der 1. Juli 1968 angegeben, Todesursache unbekannt. Dieser Wheat war mit fünfzig gestorben. Genauso alt wäre Patrick Wheaton, geboren 1953, jetzt gerade. Ja? Und? Wheaton war 2003 gesichtet worden, nicht 1968.
Trotzdem ließ es Sheppard nicht los.
»Hey«, sagte Goot plötzlich und schaute von seinem Laptop auf. »Ich habe hier etwas Komisches gefunden. Ein Peter Wheat hat seinen Führerschein am 15. April 1994 bekommen – etwa einen Monat, bevor Wheaton verschwunden ist – und im November
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