Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi
verzehrt, Lebenszeit verschlungen. Das wollte ich nicht mehr. Ich wollte, dass sie blieb, dass irgendwer je blieb. Die Sonne hatte das Viereck auf dem Bett ein Stück weiter nach Westen verschoben. »Ruby Tuesday« aus den Boxen, diesmal nicht die Stones.
Mit einem Finger zeichnete ich die Wölbung ihrer Brust nach. Zeit, in der sich eine Fliege auf der Fensterbank niederlassen und ihre Flügel putzen konnte. In der die Frau von Gegenüber ihr Staubtuch ausschüttelte. In der im Radio der Satz: »Soldaten der Afrikanischen Union haben sich zum Schutz der Hilfebedürftigen erbitterte Kämpfe mit den Milizen geliefert«, hätte gesprochen werden können. Zeit, die ein Mensch für die letzten drei seiner Atemzüge beanspruchte. Am Ende dieser Zeit fand meine Fingerspitze den Hof ihrer Brustwarze. Sie lächelte mit geschlossenen Lidern. Dann hatte ich keine Zeit mehr zu verlieren.
Der Regen auf der Windschutzscheibe war der gleiche geblieben. Honey war da, aber ich mochte sie nicht ansehen, nahm stattdessen den letzten Schluck aus der Flasche, ließ das Fenster herunter und die Nachtluft ein. Dann startete ich den Motor, ein behagliches Geräusch, der Benz glitt auf den Asphalt. Nach einigen Kilometern zweigte eine gut befahrbare Straße in Richtung Wandlitz ab. Ich hatte vorhin den falschen Weg genommen, und es war mir nicht zum ersten Mal passiert.
Das Display meines Navigationsgerätes zeigte immer noch nichts, sondern irrte mit dem Pfeil auf einer hellgrünen Fläche umher. Aber die Straßenschilder könnten mich nach Wandlitz führen.
Heute war es ein Ort wie jeder, möglicherweise mit luxuriöseren Unterkünften für Urlauber als in Altwarp, was allerdings nicht schwierig war. Die Abgeschiedenheit der SED-Führungskräfte-Siedlung hatte Wandlitz zu einem Begriff gemacht, dem Neid und Furcht anhafteten, früher und wenn die Alten davon sprachen. Auch Tante Ilona hatte mit Verachtung davon erzählt. Mutter hatte ihr einen Blickzugeworfen, der sie zum Schweigen bringen sollte. Aber Ilona hatte so getan, als habe sie es nicht bemerkt, hatte sich in Geschichten und Gerüchten verloren, die sich um den Ort rankten, bis Vater eingetreten war und sich über die Ungerechtigkeit des Systems ereifert hatte. Die Bitterkeit in Ilonas Stimme war mir lieber gewesen, als Mutters Schweigen, wenngleich ich damals längst nicht alles verstanden hatte.
Ich fragte mich, ob es in Wandlitz eine Tankstelle gab, die durchgehend geöffnet hatte, verwarf den Gedanken und fuhr in Richtung Oranienburg weiter, vielleicht gab es da eine. Vor meinen Augen flimmerte die Müdigkeit, Kaffee wäre nicht schlecht, aber weit und breit nur Landschaft, Wälder, Felder, Seen, wie zu Hause. Der Sommer vor drei Jahren war heiß und hell gewesen, nur die Nächte schlaflos wie heute …
Morgens um sechs hatte noch kein Bäcker geöffnet. Zu Hause hatte ich nicht bleiben können, die Hitze hing in den Zimmern, die Sonne ging auf und eine Nacht ohne eine Sekunde Schlaf lag hinter mir. Ich fuhr zu van Bronk , die Tanke hatte immer offen, kaufte die »BILD am Sonntag«, Brötchen aus dem Ladenbäcker, fünf Scheiben Schinken, eine Flasche Wein und stieg wieder in den Wagen, als ich aus den Augenwinkeln den roten Mini von Isabell vorbeiflitzen sah. Kaum Verkehr auf der Straße, hin und wieder ein mit jungen Leuten voll besetztes Auto, Heimkehrer, was nicht verwunderlich war, an einem Sonntagmorgen. In größerem Abstand folgte ich dem Mini. Es war …
Ich weiß nicht, was mich dazu antrieb. Vielleicht wollte ich das Haus anschauen, in dem sie mit dem Neuen wohnte, vielleicht auch erfahren, wo sie jetzt ihre Brötchen holte. Vielleicht wollte ich einfach nur wissen, wie sie jetzt aussah. Sie fuhr stadtauswärts. Wohin? Auf der Umgehungsstraße bog sie rechts ab. Ob sie mich im Rückspiegel entdeckte? Nein, sicher nicht. Meinen neuen Wagen kannte sie nicht. Ich musste ihr einige Kilometer folgen, bevor sie in einen Wirtschaftsweg, der zwischen Weizenfeldern hindurch auf einen Wald zuführte, einbog. Plötzlich ahnte ich, was sie vorhatte, und parkte unweit der Stelle, an der wir früher immer unser Auto abgestellt hatten.
Ich spazierte den Pfad zum See entlang, eingehüllt vom Harzduft. Von der Schießanlage in Flamschen trug der Wind das Knallen der Schüsse heran. Der Zoll, Jäger, Sportschützen übten dort, nachdem die Bundeswehr die Mannschaftswagen beladen und ihre Tore geschlossen hatte. Offenbar Frühaufsteher.
Die Wasserfläche lag da wie
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