Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi
gepunztes Messing, nur im Schatten des Waldes glänzte sie dunkel. Isabell hatte ihre Kleider abgelegt, ich sah sie durch die Zweige. Sie war eine gute Schwimmerin. Sie schwamm, wie sie alles in ihrem Leben tat, perfekt, nur bevorzugte sie normalerweise das COE-Bad. Ich fragte mich einen Moment, was sie an den Kalki verschlagen hatte, dann sah ich ihren Körper ins Wasser gleiten, keine fünfzig Meter von mir entfernt, einen Körper, den ich einmal zu besitzen geglaubt hatte. Ihre Bewegungen hinterließen kleine Wellen auf der glatten Fläche.
Wieder ein Knall, diesmal ganz in der Nähe. Ich zuckte. Fehlzündung? Tatsächlich, das Knattern eines Motorrads. Durch die Büsche konnte ich einen Mann auf einer Dnepr erkennen, der sich mit dem Geräusch entfernte. Nie war mir aufgefallen, wie viele Menschen sonntags in aller Herrgottsfrühe ihren Hobbys nachgingen. Meine Morgen hatten später begonnen.
Isabell war fast bis zur Mitte des Sees geschwommen und umgedreht, glitt dem Ufer zu, das an dieser Stelle steil in die alte Sandgrube abfiel. Wieder ein Knall und auf der Wasserfläche konzentrische Ringe, wo ihr Kopf gewesen war. Sekunden vergingen, die Kreise wurden größer.
Neben mir raschelte ein Vogel, das Knattern der Dnepr kam zurück, sonst war es still.
Nichts. Nur Natur.
Isabell!
Ein Schrei steckte in meiner Kehle. Ich konnte mich nicht rühren, spürte Rinnsale von Schweiß auf meinem Körper. Isabells Kleider lagen auf dem Gras, ein einsames buntes Häufchen.
Minuten mussten vergangen sein, bevor ich mich bewegen konnte, jeder Muskel schmerzte, während ich die kurze Distanz zum Seeufer zurücklegte. Dann sah ich ihr Gesicht von Haar umspielt, unversehrt und mit starrem Blick durch grünes Wasser hindurch in den Himmel.
Mein Atem setzte aus. Ich trat drei Schritte zurück, sah sie immer noch, die Lippen schmal und bleich. Langsam tastete ich mich rückwärts, stieß an einen Stamm, wich aus und rannte …
Hinter der Schraffur des Regens im orangen Licht der Straßenbeleuchtung lagen Vorgärten von Einfamilienhäusern mit Hecken und Rasenflächen beidseits der Straße. Oranienburg. Kurz nach dem Ortseingang retteten mich die Lichter einer Tankstelle.
15
Julia betrachtete das Lichtviereck, das die Straßenlaterne an die Schlafzimmerdecke zeichnete seit einer guten Stunde. Es veränderte sich nicht. Die Gedanken nahmen ihren eigenen Weg, verdrillten sich zu Knäulen, wanderten durch Ödland, durch feuchte Gewölbe, verloren sich im Unwägbaren, um zu ihrem Anfang zurückzukehren. Sie stand auf und trank ein Glas Wasser in der Küche. Aus dem Schlafzimmer kam ein Geräusch so winzig wie das Symbol für eine SMS. Julia sah nach. Conrad. Ruf mich mal an. Warum tat er es nicht selbst? Der Wecker zeigte zwei. Sie wählte und Conrad hob sofort ab.
»Schön, dass du wieder gesund bist«, sagte sie.
»Tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe.«
»Hast du nicht.«
»Nicht? Was treibst du nachts?«
»Was willst du, Conrad?« Erst lässt er sich niederschlagen, verdrückt sich ins Koma, verschwindet klammheimlich und nun stellt er blöde, nachmitternächtliche Fragen.
»Ich habe etwas gefunden.«
»Aha.«
»Deine Vermisste ist nicht ganz so unbekannt, wie Sven mir gesagt hat.«
»Mach’s ruhig ein bisschen spannend.« Julia hatte jetzt wirklich keine Lust auf Spielchen.
»Rose Marie Lux hatte eine Jugendstrafe. Sechs Monate wegen Brandstiftung in einem minderschweren Fall.«
»Ja, und?«
»Mann, Julia. Sie ist nicht gerade das arme, einsame Herzchen.«
»Sie ist verschwunden, und ich weiß nicht, wo ich nach ihr suchen soll. Eigentlich auch nicht warum. Dass sie gezündelt hat als Kind, ändert gar nichts.«
»Sie war achtzehn.«
»Sag ich doch, als Kind.« Mit achtzehn hatte sich Julia längst nicht als erwachsen empfunden. Sie tappte zurück in die Küche, ließ das Wasser laufen und füllte ihr Glas erneut. Brandstiftung. Eine Gänsehaut kroch über ihren Rücken.
»Und sie hatte einen Bewährungshelfer.«
Das hörte sich schon interessanter an. »Wen?«
»Heiko Schäfer.«
»Habe ich noch nicht mit zu tun gehabt.« Julia notierte den Namen.
»Woher weißt du das?«
»Hab mal im Archiv geblättert. Wieso hast du das eigentlich nicht getan?«
»Ich hatte keine Veranlassung dazu. Schließlich ist nicht jeder kriminell, der vermisst wird, eher die wenigsten.« Andererseits hätte das Verhalten der Mutter sie vielleicht darauf bringen können, dass da ziemlich was nicht stimmte. »Und
Weitere Kostenlose Bücher