Die Spur des Blutes (German Edition)
einfach von der Bildfläche verschwunden.
Burnett und Gant befragten Lily und Alice in Stricklands Büro. Dort hatte man Lily und ihre Tochter hingebracht, weg von Jess, nach vielen Umarmungen und reichlich Tränen.
Jess ging zurück zur Hintertür und überblickte die Gasse. Sie war breit genug, dass zwei Wagen in entgegengesetzter Richtung aneinander vorbeifahren konnten, solange niemand falsch parkte, denn das Halteverbot war nur für Lieferanten eingeschränkt. Entsprechende Warnschilder hingen etwa alle sechs Meter an der Wand entlang des eingeschossigen Gebäudes, in dem sieben gewerbliche Einheiten untergebracht waren.
Neben jedem der Hintereingänge standen Mülleimer.
Selbst wenn Jess ihn wütend gemacht hatte, warum sollte Spears oder sonst wer einen so risikoreichen Schritt wagen? Jetzt gab es nicht weniger als zehn Zeugen, die ihn identifizieren konnten, allein sechs an diesem Tatort.
Wenn es sich wirklich um Spears handelte, plante er womöglich eine Flucht auf irgendeine exotische Insel, gekauft mit dem Vermögen, das er gemacht hatte, wenn er mal nicht den Mörder spielte? In irgendein Land, wo er die nächsten fünf Jahre Frauen foltern und töten konnte? Bis ihm wieder jemand so nahe kam wie Jess. Dann würde er einfach erneut weiterziehen. In ein anderes Land. Mit neuer Beute.
Er würde nie aufhören.
Was versuchte er zu beweisen? Warum hatte er Belinda Howard leben lassen? War das ein Unfall oder kalkulierte Strategie? Was wollte er damit sagen, verdammt? Früher hatte es nie Zeugen, niemals Spuren gegeben, und auf einmal zeigte er überall seine Visage und hinterließ Spuren seiner ganz plötzlich so schlampigen Arbeit.
Die Nachrichten, inklusive der, die in ihrem Haus in Virginia hinterlassen worden war, ließen eigentlich keinen Zweifel daran, was er letztlich bezweckte. Warum kam er dann nicht einfach und holte sie sich? Das würde ihnen allen viel Zeit und Energie ersparen. Jemand, der die Nerven besaß, einen Bundesagenten am helllichten Tage zu entführen, sollte doch eigentlich keine Angst davor haben, sich das zu nehmen, was er wollte.
Drei Opfer in dreißig Stunden. Vier, wenn man ihren ermordeten Nachbarn in Virginia mitzählte. Das schaffte kein einzelner Mann allein, wenn man die geografischen Gegebenheiten in Betracht zog.
Jess strich sich das Haar hinter die Ohren. Stemmte die Hände in die Hüften. Verschränkte dann die Arme. Kein Zweifel. Es mussten zwei sein, die zusammenarbeiteten. Spears und ein Komplize. Es gab einfach keine andere rationale Erklärung. Vor allem in Anbetracht dessen, dass sie keine Fingerabdrücke hatten, die mit Spears’ übereinstimmten – es sei denn, sie fanden hier heute welche.
Quietschende Scharniere warnten Jess, dass sich die Tür öffnete. Die rauchende Helferin schlich sich hinaus, blieb stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden, und ging dann über den Asphalt zu der gestrichenen Betonblockwand, die dieses Grundstück vom nächsten trennte. Die Frau nahm ein paar lange Züge und begann zu schluchzen.
Jess überlegte, ob sie sie damit trösten sollte, dass der Mann, dessen Bekanntschaft sie heute Morgen gemacht hatten, sich so oder so Zutritt verschafft hätte, entschied sich aber dann dagegen. Wenn diese Erfahrung sie davor bewahrte, so einen Fehler noch einmal zu machen, dann sollte sie sich ruhig eine Weile schuldig fühlen. Sicherheit war heutzutage keine leicht zu nehmende Angelegenheit.
Die Tür öffnete sich erneut. Burnett winkte sie herein.
»Hast du etwas Neues erfahren?«, fragte sie. Irgendetwas, egal was.
Er schüttelte den Kopf. »Sobald Lilys Mann und ihr Sohn kommen, sind sie hier weg. Sie gehen nicht mal mehr zurück nach Hause, um ihre Sachen zu holen.«
Die Erleichterung brachte Jess für einen Moment aus dem Gleichgewicht. »Gut.« Wenigstens würde sie sich keine Sorgen mehr darum machen müssen, dass, wer immer es war, ihrer Familie etwas antat.
Burnett führte sie zu Stricklands Büro. »Sie wollen dich sehen.«
Das schreckliche Zittern in ihren Gliedern fing wieder an, als sie an den Behandlungsräumen vorbeiging. Prescott lächelte ihr vom anderen Ende des Flurs zu, wo sie noch mit der Befragung der Empfangsdame und des Versicherungsangestellten beschäftigt war. Der andere Detective, an dessen Namen Jess sich gerade nicht erinnern konnte, nahm die Aussage der zweiten Helferin auf. Gant drückte sich vor der Tür zu Stricklands Büro herum. Er sagte nichts zu Jess, als er beiseitetrat. Seinem
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