Die Spur des Blutes (German Edition)
»Alice, geh und warte bei deinem Bruder und deinem Vater. Ich muss kurz mit Jess reden.«
Alice umarmte Jess, bevor sie in die sicheren Arme ihres Vaters eilte.
Lily schloss die Tür und wandte sich ihrer »kleinen« Schwester zu, denn so nannte sie Jess immer noch gern, gerade in heiklen Momenten wie diesem. Jess machte sich auf die »Ich als ältere Schwester weiß es besser«-Ansprache gefasst. Doch stattdessen umarmte Lily sie fest.
Sie weinten beide noch ein bisschen und lachten sich dann an, während sie sich die Tränen wegwischten. Ihr Make-up war verschmiert.
»Ich verstehe, dass du das tun musst«, sagte Lily schließlich. Sie nickte. »Erst wollte ich es nicht, aber jetzt verstehe ich es. Ich werde für dich beten.«
Dankbar für die Unterstützung drückte Jess die Hand ihrer Schwester. »Danke, Lil.«
Bevor sie zu ihrer Familie ging, zögerte Lily an der Tür. »Sei vorsichtig, Jess.«
Sie nickte. »Das bin ich.«
Lily hielt ihren Blick noch einen Moment fest. »Wenn du dieses Monster findest, dann sorg dafür, dass er nie wieder dir oder jemand anderem wehtun kann, hörst du?«
Jess brachte ein zittriges Lächeln zustande. »Das habe ich vor.«
Draußen im Flur gab es noch eine Gruppenumarmung, als Jess ihre Familie verabschiedete. Zwei Officer würden sie nach Pensacola geleiten. Ein Teil von Jess wünschte sich, sie könnte mitgehen. Der ganzen Sache einfach den Rücken kehren. Aber sie schuldete es Lori, zu bleiben und ihr Bestes zu versuchen. Und Agent Miller.
»Alles in Ordnung?«, fragte Burnett leise.
Jess zuckte die Achseln. »Ja.« Sie sah ihn nicht an. Sie konnte es nicht. Wenn er sie umarmte oder irgendetwas anderes tat, während Prescott und die anderen zusahen, würde es alles nur noch schlimmer machen. Ihr Ruf war schon lädiert genug, ohne dass sie die Gerüchteküche weiter anheizten. Und wenn sie ganz ehrlich mit sich war, verdiente sie es vielleicht auch nicht besser. Dass sie alle in dieser Lage waren, hatte sie ganz allein sich zuzuschreiben, genauso wie in Richmond letzten Monat.
»Chief Burnett«, rief Prescott aus dem Empfangszimmer. »Agent Gant wurde weggerufen. Er bittet Sie und Deputy Chief Harris, ihn so bald wie möglich in der Außenstelle in der Innenstadt zu treffen.«
Sie warf Jess einen Blick zu, als wäre auch das ihre Schuld. Wahrscheinlich war es das auch, dachte Jess.
»Ich möchte ein Update von Ihnen, wenn Sie hier fertig sind«, wies Burnett an.
»Ja.«
Als sie nach draußen gingen, hob Jess die Hand, um ihre Augen vor der Sonne zu schützen. Ihr fehlte die Kraft, nach ihrer Sonnenbrille zu suchen.
Zwei Uniformierte hielten die Vertreter der Presse auf einem angrenzenden Parkplatz zurück. Sogar aus der Ferne wurden ihr und Burnett Fragen zugerufen. Er ignorierte sie. Jess tat dasselbe. Sie hatte mit ihrer letzten eloquenten Erklärung schon genug angerichtet.
Sie kletterte auf den Beifahrersitz von Burnetts SUV und schnallte sich an. Als alles sich leicht zu drehen begann, lehnte sie sich zurück und schloss die Augen. Spears und/oder sein Komplize hatten ihre Handynummer. Die von Burnett ebenfalls. Warum hatte er keinen von ihnen direkt kontaktiert?
Warum holte er sich wieder jemand anderen, wenn er doch Jess wollte?
Er behauptete, er würde auf sie warten, und trotzdem hatte er ihr noch nicht gesagt, wo. War es möglich, dass sie die Hinweise übersah, die sie zu seinem verdammten Plan führen könnten?
»Jess, du solltest wirklich darüber nachdenken, ob du nicht doch mit Lily nach Pensacola fahren willst.«
Sie wollte nicht schon wieder darüber sprechen. »Er wird mir nur dorthin folgen.« Ihre Schwester und ihre Familie waren nicht sicher, wenn Jess in ihrer Nähe war.
Warum verstand Burnett das nicht?
Die Angst schlug ihre Krallen in sie, irgendwo tief in ihren Eingeweiden. Jess kämpfte dagegen an, doch vergebens. Bei der Vorstellung, dass dieses Monster ihrer Familie so nah gekommen war, zerbrach etwas in ihr, etwas, das unbedingt stark sein musste.
Burnett zählte weiter beharrlich Gründe auf, warum es richtig wäre, unterzutauchen, bis alles vorbei war. Irgendwo, egal wo.
Sie konnte nicht zuhören. Ihr Magen drehte sich um, als müsste sie sich auf der Stelle übergeben.
»Ich muss hier raus.« Sie richtete sich auf. Sah sich hastig nach einer Stelle um, wo sie anhalten konnten. »Ich muss hier sofort raus, Burnett.« Wenn nicht, würde die Beifahrerseite seines schicken Mercedes gleich mit Erbrochenem dekoriert
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