Die Spur des Blutes (German Edition)
Gesichtsausdruck nach zu schließen war er ebenso entsetzt wie sie.
Zwei Kriminaltechniker liefen hin und her. Auf einmal schien ihr alles so surreal. Ob es schlicht an ihrer Erschöpfung lag oder am Stress, Jess fühlte sich, als würde sie gleich einfach zu Boden sinken.
Dieses Böse war ihrer Schwester so nahe gekommen … und ihrer Nichte. Lori war immer noch da draußen, und jetzt wurde auch Agent Miller vermisst.
Sobald Jess das Büro betrat, zog Lily sie zusammen mit Alice in eine Gruppenumarmung. Wieder flossen die Tränen.
Jess hätte niemals zurückkommen sollen. Was hatte sie nur getan?
Lily löste sich, wischte mit den Handballen über die Augen. »Du musst mit uns mitkommen, Jess. Du kannst nicht hierbleiben.«
Bevor Jess etwas sagen konnte, zerrte Alice an ihrem Arm. »Bitte, Tante Jess. Du musst auf Mom hören.« Sie schüttelte den Kopf und brach erneut in Tränen aus.
Burnett stellte sich neben Jess. »Sie haben recht, Jess. Die Sache läuft aus dem Ruder.«
Hatte er den Verstand verloren? Sie starrte ihn an, wollte ihn kräftig schütteln. Er wusste doch, dass sie nicht gehen konnte … nicht, bis das hier erledigt war.
Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen, schob all die Gefühle beiseite, die ihr die Fähigkeit zum logischen Denken nahmen, und tat, was sie tun musste.
»Ich muss allein mit meiner Familie sprechen.«
Das verletzte seinen Stolz. Sie sah es in seinen Augen. Pech für ihn. Dass er ihr in den Rücken fiel, war auch nicht gerade nett.
Burnett nickte und schloss die Tür hinter sich. Vermutlich stand er gleich dahinter und lauschte. Gut. Dann musste sie es nicht zwei Mal sagen.
»Setzen wir uns, okay?«
Lily nickte. Sie ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen und winkte ihrer Tochter, sich neben sie zu setzen. Jess zog den Stuhl des Arztes hinter dem vollgepackten Schreibtisch hervor.
»Dieser Mann«, sie schaffte es tatsächlich, nicht zu fluchen, »der Agent Miller entführt hat, ist sehr, sehr böse. Er hat kein Gewissen.« Sie wollte, dass sie verstanden, dass sie diesen Fall nicht einfach aufgeben konnte. Es stand zu viel auf dem Spiel. Wenn sie versuchte zu erklären, dass es möglicherweise zwei Männer mit dem gleichen Gesicht gab, würde sie Lily und Alice nur verwirren und sie noch mehr ängstigen. Besser, sie machte es möglichst einfach. »Er weiß, was richtig und was falsch ist, aber es ist ihm egal. Einem anderen Menschen das Leben zu nehmen, ist belanglos für ihn.«
»Ist er der schlimmste Kriminelle, den du je gejagt hast, Tante Jess?«
Jess musste einen Moment darüber nachdenken. »Nein. Er ist nicht der Schlimmste.« Doch mit ihrer Nichte würde sie darüber nicht weiter ins Detail gehen. »Aber er ist am schwersten zu fassen.«
»Warum hat er es auf die Menschen in deiner Nähe abgesehen?«, fragte Lily.
Auf diese Frage gab es keine einfache Antwort. »Ich bin mir nicht sicher. Ich kann nur annehmen, dass er darauf fixiert ist, sich an mir für den letzten Fall zu rächen, den ich beim FBI bearbeitet habe. Ich bemühe mich sehr, das herauszufinden.« Sie atmete tief aus. »Aber die Wahrheit ist, dass ich es vielleicht nie wissen werde. Wenn ich ihn aufhalten kann, ist das alles, was zählt.«
»Warum musst du es sein?«, wollte Alice wissen. Ihre Lippen zitterten. »Kann das nicht jemand anders machen? Chief Burnett sagte, er würde ihn kriegen.«
Das arme Ding. Die Zahnspange war nur teilweise entfernt. Jess fragte sich, ob sie je wieder lange genug in diesem Stuhl würde sitzen können, dass der Kieferorthopäde und seine Assistentin ihre Arbeit beenden konnten.
Und der verdammte Burnett machte es ihr schwerer, als es sein musste.
»Das ist der heikle Teil.« Wenn Jess ihnen die schrecklichen Details erklärte, würde ihnen das nur noch mehr Angst machen. Und wenn nicht … nun, das war keine Option. »Wenn er mich wirklich will, dann wird er nicht ruhen, bis er mich hat.«
Tränen rannen über Lilys Gesicht. Sie wünschte, sie könnte ihrer Schwester Mut machen, aber es gab nichts, was sie ihr sagen konnte.
»Wenn ich ihn nicht finde und aufhalte, wird er mich immer weiter verfolgen. Das Risiko kann ich nicht eingehen.«
Sie blickten zur Tür, als es leise klopfte. Burnett steckte den Kopf herein. »Blake und Blake junior sind da.«
Jess stand auf. »Ich will, dass ihr euch sofort auf den Weg macht. Ihr dürft nicht noch mal nach Hause fahren und eure Sachen holen. Das ist einfach nicht sicher.«
Lily drückte sich von ihrem Stuhl hoch.
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