Die Spur des Blutes (German Edition)
sie weiß, dass ich Pfannkuchen mache.«
Jess schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln. Sie verstand. Zwischen Pfannkuchen und einem Bagel fiel die Wahl nicht schwer.
In der Tür war ein Guckloch, doch Mrs Wells hatte nicht hindurchgeschaut. Das wusste Jess, auch ohne dass die Frau es ihr bestätigte. Sie würde sich noch schuldig genug fühlen, wenn ihr die Konsequenzen ihrer Handlungsweise aufgingen. Es gab keinen Grund, ihr die Sache noch schwerer zu machen.
Wenn Spears es wollte, hätte er sich so oder so Zutritt zu diesem Haus verschafft.
»Sie haben die Tür geöffnet«, vermutete Jess, »aber es war nicht Lori.«
Mrs Wells nickte. Erneut traten ihr die Tränen in die Augen. »Er … hat sich einfach an mir vorbeigedrängt. Er hatte eine Pistole in der Hand. Er hat mir befohlen, mich hinzusetzen.« Sie wand die Finger in den Stoff an ihrem Hals. »Terri war noch in ihrem Zimmer. Ich habe gebetet, dass sie ihn hört und die Polizei ruft, aber das hat sie nicht.« Mrs Wells zeigte auf den Flur auf der anderen Seite des Zimmers. »Sie kam angerannt, und er hat sie gepackt … oh Gott.« Bei der Erinnerung an den durchlebten Schrecken bebte ihr ganzer Körper. »Er hat ihr die Pistole an den Kopf gehalten.«
Dann brach Mrs Wells zusammen, und Jess wartete geduldig, bis sie sich wieder gefasst hatte. Der schlimmste Albtraum aller Eltern war für sie wahr geworden.
»Er hat mir befohlen, Lori anzurufen und ihr zu sagen, dass ihre Schwester gestern Abend nicht nach Hause gekommen wäre … und dass auch eine ihrer Freundinnen vermisst würde.« Wieder rang sie um Fassung. »Lori sagte, sie wäre schon unterwegs.« Tränen rannen über ihre Wangen. »Dann hat er uns mit dem Klebeband so gefesselt, dass wir uns nicht mehr bewegen konnten. Terri hat er gleich ein Stück über den Mund geklebt.« Ihre Lippen zitterten. »Aber mir hat er Fragen gestellt, während er auf Lori wartete.«
»Was für Fragen?« Kälte sickerte in Jess’ Knochen.
Harper wartete ein paar Schritte entfernt. Jess nickte ihm zu, und er stellte ein Glas Wasser auf den Tisch neben die aufgewühlte Frau.
»Er … er wollte alle Kosenamen wissen, die sie als Kind gehabt hatte.« Ihre Brust hob und senkte sich, als sie tief durchatmete. »Ihr Vater hat sie Lori Doodle genannt. Zuerst habe ich mich geweigert zu antworten, aber dann hat er Terri diese Pistole ins Gesicht gedrückt und gedroht, es würde mir leid tun, wenn ich nicht ganz schnell antworte.«
Harper bot der armen Frau ein Taschentuch an. Sie tupfte sich Augen und Wangen ab.
»Hatte er noch mehr Fragen?«, fragte Jess, damit sie weitersprach.
Sie befeuchtete sich die Lippen. »Er wollte wissen, warum sie unter Höhenangst leidet.« Mrs Wells schüttelte den Kopf. »Ich wusste nicht, wovon er sprach.«
Aber Jess wusste es leider. »
Leidet
Lori denn unter Höhenangst?«
Mrs Wells schüttelte erneut und entschiedener den Kopf. »Nein.« Sie lachte, ein gequälter, schwacher Laut. »Na, das Mädchen ist als Kind auf jeden Baum in diesem Garten geklettert. Dieser Mann ist ein Lügner. Kommt hierher und sagt, die Lori, die er kennt, hätte Höhenangst.« Sie bewegte den Kopf hin und her. »Ich glaube nicht, dass er meine Lori kennt.«
Jess versuchte das Hämmern ihres Herzens zu beruhigen, doch ohne Erfolg. »Haben Sie ihn aufgeklärt, Mrs Wells?«
Sie nickte heftig. »Ich sagte ihm, dass er, wenn er Lori kennen würde, wüsste, dass Lori vor nichts in der Welt Angst hat, außer vor Wasser. Seit sie einmal fast ertrunken ist, als sie zehn war, geht sie nicht mal mehr in die Badewanne. Nur unter die Dusche. Nie in die Badewanne.«
Jess hielt ganz still und wartete auf den Rest.
»Er lachte und sagte etwas wie ›ach ja, stimmt ja‹.« Ihr Gesicht legte sich in ängstliche und unglückliche Falten. »Dann hat er mir den Mund zugeklebt und auf Lori gewartet.«
Endlose Möglichkeiten, wie die verschiedensten Wasserquellen zur Folter benutzt werden konnten, wirbelten Jess durch den Kopf. Sie blinzelte die allzu lebendigen Bilder fort. »Mrs Wells, können Sie den Mann, der das getan hat, beschreiben?«
Harper zückte sein Handy, um sich Notizen zu machen. Anscheinend benutzte außer Jess niemand mehr Stift und Papier. Sie mochte es, ihre Notizen auf die altmodische Art zu machen und durchzugehen. Tatsächlich liebte sie einfach den Geruch eines frisch gespitzten Bleistifts und von sauberem, frischem Papier.
Dass ein solch banaler Gedanke ihr gerade jetzt durch den Kopf ging, war
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