Die Spur des Boesen
einen Kugelschreiber aus ihrer Tasche und notierte sich etwas. Die andere schien zuzustimmen. Corso harrte noch einen Moment aus.
Zwölf Uhr dreiundzwanzig. Die Schwestern trennten sich, eine trat hinter den Schalter, die andere ging mit quietschenden Sohlen den Flur entlang und verschwand in einem Zimmer.
Corsos Cowboystiefel klackerten über den abgeschabten Linoleumboden, als er zur Treppe eilte. Der Geruch des Desinfektionsmittels stieg ihm in die Nase, während er zwei
Stufen auf einmal nahm. Mit einer Hand am Geländer drehte er schwungvoll am Treppenabsatz und polterte das nächste Stockwerk hinunter.
Auf halbem Weg ins Erdgeschoss hörte er es. Jemand pfiff vor sich hin und klapperte mit seinen Schuhen auf der Treppe. Abrupt blieb Corso stehen. Hielt den Atem an und lauschte. Es bestand kein Zweifel — jemand kam im Laufschritt die Treppe herauf. Und pfiff was? Er lauschte wieder. Die Melodie war zerstückelt und abgehackt, aber vertraut. Vielleicht ein Kirchenlied. »Jesus liebt mich.« Ja, genau. »So steht es in der Bibel... Jesus liebt mich.«
Die Melodie kam näher. Corso holte tief Luft, setzte sein ungezwungenstes, freundlichstes Gesicht auf und ging weiter. Wird nur ein anderer Kerl sein, der die Hintertreppe benutzt. Er war vier Stufen vor dem zweiten Stock, als er den anderen erblickte. Richardson. Rote Ohren, lustiger Hut und der ganze Kram. Ihre Blicke trafen sich. Der Unterkiefer des Polizisten bewegte sich zweimal, aber es kam nichts heraus. Nur seine Augen verengten sich. Er lächelte so breit, wie es ihm der Riemen um sein Kinn erlaubte, dann griff er zu seiner Waffe an der Hüfte.
Er hatte den Revolver schon halb aus dem Halfter gezogen, als Corso ihm seine Reisetasche entgegenwarf. Nicht fest. Nur so leicht aus dem Handgelenk heraus. Wie Corso gehofft hatte, vergaß Richardson seine Waffe und schnappte automatisch mit beiden Händen nach der Reisetasche. Ist so ein Männerding — wirf ihnen was zu, und sie fangen es. So einfach.
Corso sprang hinterher. Landete in Richardson Armen. Direkt auf der Reisetasche. Nase an Nase. Der Aufprall warf Richardson hintenüber. Die Luft zischte aus seinen Lungen, und er knallte mit dem Kopf auf den harten Beton. Hörte sich
an wie eine reife Melone. Richardson verdrehte die Augen, sein Körper wurde schlaff. Erst in diesem Moment hörte Corso, wie die Waffe scheppernd die Stufen hinunterhüpfte. Corso zuckte zusammen und duckte sich, wartete, dass sie sich entlud. Nichts. Einen Moment lang drehte sich alles in seinem Kopf, und er sah die tanzenden Flammen an Sissy Warwicks Zimmerdecke vor sich. Wieder hielt er die Luft an und lauschte. Nichts.
Als Corso wieder klar im Kopf wurde, legte er zwei Finger an Richardsons Hals. Gleichmäßiger Puls. Zufrieden drehte er den bewusstlosen Polizisten um, zog ihm den dicken Wintermantel hoch und nahm ein paar Handschellen aus einem schwarzen Lederetui. Er brauchte eine Minute, bis er Richardsons große Hände hinter dem Körper gefesselt hatte, dann drehte er ihn wieder um und nahm ihm die Krawatte ab, um sie um Richardsons Fußgelenke zu binden und von hinten an den Handschellen zu befestigen. An allen vieren zusammengebunden, wie ein Tier. Noch einmal fühlte Corso nach dem Puls. Immer noch stark und gleichmäßig. Corsos Ohren dröhnten vom Adrenalin. Er schnappte sich die Reisetasche und rannte die Treppe hinunter.
Die Waffe lag im Erdgeschoss in der Ecke, Mündung zur Decke, als hätte sie sich ergeben. Corso hob sie auf, schob sie in seine Manteltasche und riss die Tür auf.
Arktischer Wind malträtierte sein Gesicht, als er über den Parkplatz zu Dougherty im bereits angelassenen Wagen hastete. Er fröstelte in seinem Mantel. Schaute sich um. Von oben aus dem Krankenhauszimmer hatte es ausgesehen, als läge der Schnee nur hüfthoch. Doch jetzt sah Corso, dass er sich geirrt hatte. Hier im Landesinneren, wo die Temperatur erst im Mai wieder über den Gefrierpunkt steigt, hatten die Schneefräsen das Zeug fünf Meter hoch aufgetürmt. Wie in
einem riesigen Iglu. Corso riss die Wagentür auf und ließ sich auf den Sitz fallen.
»Lass uns von hier verschwinden«, sagte er.
Sie blickte ihn nur an.
»Fahren wir«, wiederholte er.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie.
»Klar.«
»Du siehst aus, als wäre dir ein Gespenst begegnet.«
»Bring mich einfach hier weg.«
Sie schob den Hebel in den Rückwärtsgang und fuhr aus der Parklücke. »Wohin?«, wollte sie wissen.
»Egal, wohin, nur nicht in die
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