Die Spur des Boesen
trinken«, stellte sie fest.
Der Nachrichtensprecher brummte. »Präsident Bush hat eine landesweite Kampagne zur Förderung der Enthaltsamkeit bei Jugendlichen vorgeschlagen. Heute sagte der Präsident ...«
Welche ernüchternde Wirkung der Anblick von Dou-ghertys Tätowierungen auf die andere Frau auch gehabt haben mochte, lange hatte sie scheinbar nicht angehalten. Wie versteinert schlurfte sie aus der Toilette und knallte mit dem Gesicht gegen die gegenüberliegende Wand. Sie war etwas über sechzig, trug ihr pechschwarzes Haar oben zusammengebunden. Die wirre Mähne ergoss sich über ihren Kopf wie Rauch aus einem Ölfeuer. Die Bräunungscreme, die sie zu benutzen schien, ließ ihr aufgedunsenes Gesicht und ihren Hals wie eine reife Mandarine aussehen.
Sich an beiden Wänden abstützend, hangelte sie sich durch den Flur in die Gaststätte zurück, wo sie ihre großen, adrigen Hände über die Sitzlehnen gleiten ließ, um sich aufrecht zu halten. Sie kam zwar nur langsam, ansonsten aber ganz gut vorwärts. Nur ihre Augäpfel wanderten wirr hin und her. Als sie auf Doughertys Höhe war, blieb sie stehen.
Sie beugte sich vor und versuchte, nicht zu schielen. »Ich habe Sie gesehen«, nuschelte sie. »Sind Sie vom Zirkus oder so was?« Sie gluckste, schwankte hin und her und begann zu singen: »Lydia, ich bin Lydia, die Ensephlopedia ...«
Dougherty blickte schweigend in ihren Kaffee. Die Frau beugte sich noch weiter nach unten, bis sie ihre Ellbogen auf dem Tisch aufstützen konnte. »So was hab' ich noch nie gesehen. Die Pfeile und das Zeugs da, die zeigen genau auf...«
Dougherty erhob sich, überragte die Frau. »Verpiss dich«, drohte sie, »sonst trete ich dir in deinen besoffenen Arsch, dass du quer durch die Bar fliegst.«
Die Frau wollte schon etwas sagen, besann sich dann aber eines Besseren und trottete plappernd, den Blick auf Corso und Dougherty gerichtet, davon. Dougherty starrte ins Leere. Am anderen Ende der Gaststätte wurde die Betrunkene laut. Schrie ihre Wut in die Welt hinaus. Niemand schien sie wahrzunehmen. Ein normaler Samstagabend im Earls.
Plötzlich erstarrte Dougherty. Corso drehte sich um — ein Mann in roter Windjacke kam auf sie zu. Sein mit Gel zugekleistertes Haar klebte am Kopf, das Blond war mittlerweile zu einem dreckigen Messing verkommen. Schon von weitem sah man ihm an, dass er betrunken war.
Keuchend blieb er neben Dougherty stehen. »Du Schlampe hast meine Emily beleidigt?«, wollte er wissen. Seine Augen waren feucht und blutunterlaufen, seine Nase sah aus wie ein halbes Pfund rohes Hackfleisch.
»Emily muss wieder nüchtern werden«, erwiderte Dougherty.
Er packte sie an der Schulter und schob sein Gesicht direkt vor ihres. »Eine vollgemalte Fotze sollte sich mit solchen Sprüchen etwas zurückhalten ...«
»Es gibt doch gar keinen Grund, so zu reden«, schaltete sich Corso ein.
»Hab' ich was zu dir gesagt, du Arschgesicht?«, blaffte der Kerl. »Wenn ich mit einem Arschloch wie dir reden will, dann...«
Weiter kam er nicht. Corso packte ihn hinten am Haar und knallte ihn mit dem Kopf so fest auf den Tisch, dass die ganze Gaststätte wackelte. Die zertrümmerte Nase hinterließ eine Blutspur auf dem Tisch, als der Mann langsam auf den Boden rutschte. Niemand bewegte sich. Außer dem Fernseher war nichts zu hören. Aber alle Augen waren auf die drei gerichtet.
»Ich hätte das schon alleine hingekriegt«, behauptete Dougherty.
»Das F-Wort bringt mich immer auf die Palme.«
Sie lächelte, dann schob sie den Kaffee zur Seite. »Komm, nichts wie weg hier«, meinte sie.
Sie erhoben sich gleichzeitig. Stiegen über den bewusstlo-sen Typen im Gang. Corso warf einen Fünf-Dollar-Schein auf den Tisch. »Und nun die Nachrichten aus der Region«, brummte der Nachrichtensprecher. »Die Polizei von Wisconsin ermittelt in dem Mord an Cole Richardson, Deputy Sheriff von Avalon, der am frühen Abend mit einem Kopfschuss aufgefunden wurde. Nicht namentlich genannten Quellen zufolge erfuhr KÜMO News, dass der Polizist anscheinend mit seiner eigenen Waffe getötet wurde. Auch wenn formal noch keine Anklage erhoben wurde, suchen die Polizeibehörden von Wisconsin den flüchtigen Autor Frank Corso in Verbindung mit...« Ein fünf Jahre altes Bild von Corso erschien auf dem Bildschirm, »...dessen aktuelles Buch, die auf wahren Begebenheiten beruhende Kriminalgeschichte Tod in Dallas, seit fast dreiunddreißig Wochen auf den Bestsellerlisten steht. In der Vergangenheit war
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