Die Spur des Boesen
ungeschickt ich schon geworden bin.« Mit den Fingerspitzen sammelte sie die Scherben aus dem Spülbecken und schwafelte über die verheerenden Auswirkungen des Alters. Doch niemand hörte zu. Agnes stellte sich direkt vor Corso. »Vielleicht sollten Sie mir mehr davon erzählen«, forderte sie ihn auf.
Corso erklärte ihr die Situation. Alles, was er wusste. Während er erzählte, unterbrach Schwester Veronica ihre Aufräumarbeiten. Sie drehte sich um und hörte mit zusammengepressten Lippen und aneinander gelegten Händen zu. »Es muss ein etwa gleichaltriges Mädchen gewesen sein«, schloss Corso. »Anders hätte es nicht funktioniert.«
»In welchem Jahr war das?«, wollte Schwester Agnes wissen.
»Sie ist im Sommer neunzehnhundertdreiundsiebzig in Wisconsin aufgetaucht.«
Agnes wandte sich ihrer Schwester zu. »Nun... dann ist ja wohl alles klar, oder?«, meinte sie.
Veronica zögerte, dann nickte sie widerwillig. »Du hattest Recht«, sagte sie leise. »Ihr hattet alle Recht.« Sie sah aus, als wäre ihr übel.
Corso entgegnete Agnes' Blick. »Hört sich an, als hätten Sie jetzt eine Geschichte zu erzählen.«
»Endlich.« Agnes holte tief Luft und begann mit ihrer Geschichte. Anscheinend hatten die Schwestern damals, als die Schule zum Heiligen Herzen noch in den Kinderschuhen steckte, hin und wieder Mädchen aufgenommen, die verwaist oder missbraucht oder beides waren. So hatte man das damals gemacht, bis sich die Regierung eingeschaltet und alles durcheinander gebracht hatte. So sah zumindest Schwester Agnes die Angelegenheit. Nachdem sie eine halbe Minute lang politische Ergüsse von sich gegeben hatte, merkte sie, dass sie abschweifte, und kam zum Punkt: Kurz vor Weihnachten 1970 hatte ein junges Mädchen vor der Tür gestanden und behauptet, sie sei Waise. Sie heiße Mary Anne Moody, sei vierzehn Jahre alt und wisse nicht, wo sie unterkommen solle.
»Hat erzählt, dass ihre ganze Familie bei einem Brand ums Leben gekommen sei«, fügte Veronica hinzu.
Agnes warf ihrer Schwester einen verärgerten Blick zu und fuhr fort. Die Ankunft des Mädchens habe unter den Nonnen so etwas wie einen Sturm ausgelöst. Einige hätten sie loswerden wollen. Immerhin sei sie nicht aus der Stadt gewesen. Und nicht katholisch. Andere waren Mary Anne Moody gegenüber freundlicher gesinnt. Nach einer ziemlich hitzigen Debatte hatte man beschlossen, das Mädchen aufzunehmen.
»Der Nächstenliebe dürfen keine Fesseln angelegt werden«, erklärte Veronica. »Es war unsere Christenpflicht.«
Agnes überging den Zwischenruf. Mary Anne Moody war bei den Nonnen geblieben und hatte fast zwei Jahre die Schulebesucht und im Kloster gewohnt. Sie erwies sich als schwieriges, eigensinniges Mädchen, das häufig Schwierigkeiten sowohl mit den Nonnen als auch mit ihren Mitschülerinnen hatte. Hin und wieder auch gewalttätig war. Oft bestraft wurde. Agnes klang, als hätten es viele Nonnen bereut, das Mädchen aufgenommen zu haben.
»Sie war ein ständiges Problem«, fuhr Agnes fort. »Das eigensinnigste und halsstarrigste Kind, das mir je begegnet ist.« Veronica wandte den Blick ab, duldete keinen Widerspruch.
Nicht nur, dass das Mädchen Schwierigkeiten machte, es zeigte auch eine Reihe von Gewohnheiten, die den guten Schwestern allen Grund gaben, an ihrer Nächstenliebe zu zweifeln. Die erste Gewohnheit kam ans Tageslicht, als man in ihrem Zimmer einige Bilder fand. Die bissige Art, in der Schwester Agnes sie als »ungeeignet« abtat, und die roten Flecken auf ihren Wangen sprachen Bände.
»Aber das war noch nicht das Schlimmste.« Agnes machte eine Pause. »Sie hegte eine morbide Faszination für den Friedhof. Für den Tod und die Toten.«
Scheinbar brauchte man nur auf den Friedhof hinüberzugehen, wenn Mary Anne Moody vermisst wurde — was ziemlich regelmäßig vorkam —, und da war sie. Stand irgendwo herum. Redete mit sich selbst. Notierte sich die Informationen von den Grabsteinen auf einen kleinen Block, den sie bei sich trug.
»Wozu?«, wollte Dougherty wissen.
Die Schwestern schüttelten ahnungslos ihre Hauben.
»Was ist mit dem Warwick-Grab?«, drängte Corso.
Veronica hielt es nicht mehr aus. »Kurz bevor sie ging...«
»Verschwand«, korrigierte Agnes sie.
Offenbar war Mary Anne Moody in den Monaten vor ihrem
Verschwinden auf das Grab von Sissy Warwick fixiert. Wurde mindestens ein Dutzend Mal vor ihrem Grab erwischt. Veronica und einige andere Schwestern glaubten, dass Mary Anne das Grab
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