Die Spur des Boesen
rundliche, kleine Latina in roter Hotellivree. Sie reichte Corso ein zusammengefaltetes Stück Papier, er reichte ihr einen knisternden Hundertdollarschein. Sie tauschten ein dünnes Lächeln aus, bevor Corso seinen Fuß zurückzog und die Tür ins Schloss fiel.
Als er ins Zimmer zurückkehrte, war Dougherty wach und hatte den Kopf auf einem Ellbogen aufgestützt. »Hattest du wieder einen deiner verrückten Einfälle?«
Corso nickte. »Ich habe geschlafen. Im Traum habe ich gehört, wie ein paar Kinder die Ziffern gesungen haben. Wie in der Schule. Als ob sie Zahlen auswendig lernen wollten.« Er zuckte mit den Schultern. Er wusste, dass er seine Muse besser nicht erklären sollte. Die anderen hielten ihn dann entweder für verrückt oder erwarteten, dass er sie sich auf Kommando zu Nutze machte. Doch niemandem fiel auf, dass es einen Grund gab, warum die Muse stets eine Frau war.
»Und... wie lautet der Spruch der Geschworenen?«, fragte Dougherty.
Corso faltete das Blatt auf. Blickte hinüber zu Dougherty. »Smithville, New Jersey.«
»Nie davon gehört.«
»Ich auch nicht«, meinte Corso. »Was ziemlich komisch ist, wenn man bedenkt, wie lange ich in der Gegend gelebt habe. Gestern hätte ich noch felsenfest behauptet, ich hätte schon von jedem popeligen Ort in New Jersey gehört. So riesig ist der Staat schließlich nicht.«
»Meinst du, sie hat die Nonnen an der Nase herumgeführt?«, fragte Dougherty.
»Ja«, antwortete Corso wie aus der Pistole geschossen. »Darauf verwette ich einen Finger.«
Dougherty verzog das Gesicht. »Was für ein Mensch bringt denn eine Nonne um?« Sie rutschte auf ihrer Matratze nach unten und zog die Decke bis ans Kinn. »Wie kann man nachts schlafen, wenn man eine achtzig Jahre alte Nonne die Treppe heruntergestoßen hat?«
»Man schert sich einen Scheiß drum«, war alles, was Corso einfiel.
S arah Fulbrook setzte sich auf ihr Fahrrad und blickte auf ihre jüngere Schwester hinunter. Emily kniete unbeholfen im Kies, während sie an ihrer Wäscheklammer-Spielkarten-Installation herumfummelte, die ihr neues Fahrrad zumindest klanglich wie motorisiert erscheinen lassen sollte.
»Jetzt komm schon«, verlangte Sarah. »Du bist echt eine blöde Kuh.«
»Eine Minute noch«, erwiderte Emily und versuchte, die hölzerne Klammer zurechtzurücken, die sie am Rahmen ihres Fahrrads befestigt hatte. Das Klebeband hatte sich während der fünf Kilometer vom Haus bis hierher gelöst, so dass die Karten nicht mehr richtig in den Speichen hielten.
»Wir müssen bei Mama May sein, bevor es dunkel wird«, mahnte Sarah. »Beeil dich.«
»Ich habe Licht am Fahrrad«, protzte die Jüngere. Sie presste die Lippen zusammen und zog mit aller Kraft. Das Klebeband bewegte sich nicht.
»Ich schwör's dir, ich lass dich hier draußen alleine«, drohte Sarah.
»Wenn du mich hier allein lässt, bringt Mama dich um.«
»Ich habe keine Angst vor ihr.«
Das kleine Mädchen unterbrach ihre Arbeit und drehte sich um. »Pass lieber auf«, sagte sie und spähte die Umgebung aus. »Sie hört alles.«
»Was hast du denn für ein Problem?«, wollte Sarah wissen.
»Mama hört alles«, wiederholte Emily.
»So'n Scheiß.«
»Das sag' ich ihr.«
»Wenn du das tust... wirst du es schon bald bereuen.«
Wieder blickte sich Emily um. Diesmal eher nach einem Verbündeten als nach einem Spion. Die Drohung, ihre Schwester zu verpetzen, war schwachsinnig. Das wussten sie beide. Sarah zu verpetzen war keine gute Idee. Man musste Sarah nur einmal über den Weg laufen, um zu wissen, warum.
»Was ist jetzt«, drängte Sarah. »Mama sitzt zu Hause. Sie ist keine Hexe oder so was. Sie weiß und sieht nicht alles. Das sagt sie nur, damit wir tun, was sie sagt. Das macht sie mit Papa auch.«
Emily war nicht überzeugt. »Du bist nur sauer, weil sie dir die Haare abgeschnitten hat«, meinte sie.
Sarah stieg vom Fahrrad und warf es auf den Boden. Emily versuchte, auf dem Hintern wegzurutschen, doch ihre Schwester war schneller und landete mit den Knien auf ihr, so dass sie keine Luft bekam. Emily schnappte nach Luft und musste hilflos zusehen, wie ihre ältere Schwester ihr die Spielkarten wegnahm, sie in Stücke riss und wie Papierregen auf sie herunter rieseln ließ.
»Du steigst jetzt auf dein Fahrrad, klar?«
Sarah stand auf, packte Emily an den Zöpfen und zog sie hoch.
»Steig auf dein verdammtes Fahrrad«, wiederholte sie.
16
Dougherty schaltete den Blinker ein und wechselte auf die äußere linke Spur.
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