Die Spur des Drachen
ihrem Stützpunkt weit draußen vor dem Strand hereingekommen – auf zivilen Frachtschiffen, die speziell angemietet worden waren, um ihnen als Tarnung zu dienen. Auf Kabbahs Befehl waren die bereits im Land befindlichen, von den Amerikanern ausgebildeten nigerianischen Truppen aus strategisch platzierten Flüchtlingslagern ausgerückt. Dieser Trick, der sie nach Sierra Leone gebracht hatte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, war von Präsident Kabbah und Nigerias Außenminister Joseph Tupelo ausgeheckt worden.
Es war Kabbah gewesen, der Tupelo vorgeschlagen hatte, sich mit der Revolutionären Einheitsfront einzulassen und sie in dem Glauben zu wiegen, dass er wirklich mit ihnen zusammenarbeitete. Insgeheim aber hatte er die ganze Zeit die bestehende Regierung unterstützt. Tupelo wusste, dass er sein Leben aufs Spiel setzte, wenn er sich bereit erklärte, sich mit Latisse Matabu zu treffen. Doch ihm war auch klar, dass es bei einem Sieg der Revolutionären Einheitsfront in Sierra Leone nicht lange dauern würde, bis sich ein Ableger dieser Organisation in Nigeria einnistete. Nein, die Flut musste gleich hier eingedämmt werden.
Kabbah hatte gewusst, dass die Revolutionäre Einheitsfront bei ihrem Angriff auf Freetown die Flüchtlingslager nicht attackieren würde. Er hatte die Lager daher so platziert, dass sie dem erwarteten Angriffsplan des Drachen entgegen wirken konnten. Sobald sich die Streitkräfte der RUF auf der Flucht befanden, würden die nigerianischen Truppen nach Osten schwenken, Widerstandsnester beseitigen und feindliche Stützpunkte im Sturm erobern. Die Revolutionäre Einheitsfront wäre zersplittert und isoliert. Matabu und ihre Kommandeure hätten keine andere Wahl, als sich zu ergeben, gemäß den Bedingungen der Regierung, oder in die Hügel zu fliehen.
Die über Funk hereinkommenden Berichte hörten sich immer schlimmer an. Latisse Matabu hörte zu, während die größte Offensive, die je von der RUF unternommen worden war, in einer Katastrophe endete. Ihr Soldatengesindel, das sich vom Geruch des Blutes nährte, geriet in Panik, wenn das Blut, das vergossen wurde, das eigene war. Sie wurden wieder zu den Schlägern und Angebern, die sie zuvor gewesen waren und immer bleiben würden. Und ihre Generäle konnten nichts dagegen tun, da sie sich in dieser Hinsicht nur wenig von ihren Untergebenen unterschieden.
Die Plötzlichkeit dieser Niederlage stärkte allerdings Matabus Entschlossenheit. Wieder waren es amerikanische Waffen und amerikanisches Know-how, die verantwortlich waren für den Sieg. Sie hatten Matabus Eltern getötet und jetzt versuchten sie, auch ihren Traum zu töten. Die Revolutionäre Einheitsfront würde überleben und irgendwann erneut in den Krieg ziehen, doch ohne Latisse Matabu, den Drachen.
Denn mit dem morgigen Tag würde sich alles ändern. Matabu hatte ihre Flucht in die Vereinigten Staaten durch das befreundete Liberia von dem Tag an vorbereitet, als sie die erste Lieferung des Schwarzen Todes gekauft hatte. Sie würde vor dem Morgengrauen auf einer vorgezeichneten Route fliehen, während die Regierung verzweifelt versuchen würde, die Rückkehr gefangener amerikanischer Soldaten und ausländischer Beobachter zu erreichen, für die die RUF keine Verwendung mehr hatte. Diese Verhandlungen würden Kabbah und seine Marionettenminister lange genug beschäftigen, um Matabus Erfolg in den Vereinigten Staaten zu sichern.
Latisse Matabu behielt klaren Kopf und befahl ihren Generälen, während des Rückzugs so viele Geiseln wie möglich zu nehmen. Dann hätte die RUF die Verhandlungsmacht, die sie brauchte, um zumindest zu überleben.
Für das Heute war die Hoffnung verschwunden.
Für das Morgen blieb sie.
Ben und Danielle hatten die Hälfte der Strecke zu den Regierungsgebäuden hinter sich gebracht. Um sie herum strömten die Bewohner aus brennenden, durch Explosionen zerstörten Gebäuden auf die Straße und flüchteten in alle Richtungen. Gewehrfeuer peitschte um sie herum.
Die Schießerei wurde plötzlich heftiger. Ben und Danielle waren gezwungen, sich in den engen Spalt zwischen den beiden Gebäuden zu quetschen, in denen das Oberste Gericht untergebracht war. Sperrfeuer aus den Kampfhubschraubern ging auf die Siaka Stevens Street nieder, um sämtliche Rebellen zu erwischen. Die Salven dröhnten mit ohrenbetäubendem Rattern durch die Nacht. Asphaltstücke und Steinsplitter flogen durch die Luft.
Ben und Danielle duckten sich in ihre Deckung zwischen den zwei
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