Die Spur des Drachen
erinnern.«
Der Arzt blickte sie vorwurfsvoll an. »Ja. Ich habe Sie schließlich behandelt.«
»Eine Schande, dass Sie nicht heilen konnten, was in meinem Innern zerbrochen ist.«
»Sie geben sich immer noch die Schuld für etwas, worüber Sie keine Macht hatten und das nicht Ihre Schuld war.« Der Arzt ergriff die Kante von Matabus Rattanschreibtisch, um sich abzustützen. »Nun, ich bin genauso stur wie Sie, außerdem älter und geduldiger. Ich habe die Medikamente mitgebracht.«
»Sie können sie wieder mitnehmen, wenn Sie gehen.«
Sowahy wurde ernst. Das Weiße in seinen Augen war rot unterlaufen. Er blinzelte schnell hintereinander. »Sie sehen diesen Mann, dieses Tier, in jedem, den Sie töten, General. Und doch können Sie ihn nur einmal töten.«
»Das erste Mal hat es nicht lange genug gedauert, Doktor.«
Ein lautes Klopfen ertönte, bevor Sowahy antworten konnte.
»Herein!«, befahl Latisse Matabu und blickte weiterhin auf den alten Arzt, der sie noch immer so sah wie an dem Tag, als sie vor einem Jahrzehnt in sein Behandlungszimmer getragen und auf seinen Untersuchungstisch gelegt worden war.
»General«, rief der RUF-Sergeant, der ins Zimmer stürmte, »wir haben soeben Nachricht von unseren Kontaktleuten in Israel bekommen. Bei dem Austausch vor zwei Tagen in Ostjerusalem hat es ein Problem gegeben. Ein sehr ernstes Problem …«
15.
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Inspector«, meinte Shlomo Davies auf der westlichen Seite Jerusalems am Damaskustor, »werde ich hier auf Sie warten.«
»Das kann ich Ihnen nicht verdenken«, erwiderte Ben Kamal. Der alternde Anwalt setzte sich auf eine Steinbank.
Der Gewaltausbruch von vor zwei Tagen hatte dazu geführt, das sich jetzt wesentlich mehr israelische Soldaten in diesem Sektor der Stadt aufhielten. Der eigentliche Zweck war allerdings, die letzte Bastion des Tourismus zu schließen, die noch für Palästinenser offen gewesen war. Wenngleich Ostjerusalem technisch gesehen nicht innerhalb der Kontrollzone lag, würden die palästinensischen Geschäftsführer und Ladenbesitzer den Preis bezahlen: Aufgrund der Einschüchterungen und Warnungen durch die israelischen Behörden blieben die Kunden und Touristen aus.
Ben schritt durchs Damaskustor und betrat den Haupt-Souq, typischerweise gesäumt von Händlern, die Essen und Andenken feilboten. Die kräftigen Gerüche nach Gewürzen und reifem Obst, beißend und scharf, reichten normalerweise, um auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen. Doch die Straßen von Jerusalem waren wie leer gefegt, denn die Betreiber von Kiosken, Geschäften und des Gemüsemarkts durften die Stadt den zweiten Tag in Folge nicht betreten.
Das in einer angrenzenden Straße liegende Café Europe, in dem Danielle sich mit dem Mann getroffen hatte, den vor Davies zu identifizieren sie sich geweigert hatte, war ebenfalls leer. Die Holztische mit den bunten Tischdecken waren sämtlich unbesetzt; kein Kellner war in Sicht.
Ben setzte sich an einen der Tische und stellte sich Danielle vor, wie sie hier kurz vor dem Schusswechsel gesessen hatte. Er versuchte, sich ein Bild davon zu machen, wie das Etui mit der Brille, die ihr so wichtig war, vom umkippenden Tisch fiel. Er warf einen Blick unter seinen Tisch, nur um sicherzugehen, dass die Brille nicht dort war. Beim Gedanken an die Sinnlosigkeit dieser Handlung grinste er in sich hinein. Geduldig wartete er, dass ein Kellner zu ihm kam, doch er sah lediglich einen Jungen, der eine Schürze in Herrengröße trug und Stellen fegte, die sichtlich nicht gefegt werden mussten. Der Junge lächelte, und Ben schnippte ihm eine Münze zu.
»Ahlan wa sahlan«, begrüßte ein lächelnder Kellner Ben auf arabisch, offensichtlich überrascht, einen Gast zu haben.
»Bahlan wa sahlan«, erwiderte Ben die Begrüßung.
Der Mann strahlte, als er auf Arabisch angesprochen wurde, und zückte seinen Bestellblock. »Was darf ich Ihnen bringen?«
»Eine Tasse türkischen Kaffee und einmal Kunafeh«, bestellte Ben. Kunafeh war eine Art Käsekuchen mit Weizenflocken darauf, in Honig getaucht.
»Kommt sofort, Sidi.«
»Eine Frage noch. Ich habe vor ein paar Tagen meine Brille hier liegen lassen. Könnten Sie nachsehen, ob sie gefunden wurde?« Ben schob ein großzügiges Trinkgeld über den Tisch.
Der Kellner nahm es dankbar. »Wird gemacht, Sidi.«
»Sie lag in einem Hartschalenetui.«
»Ich sehe nach, sobald ich Ihre Bestellung abgegeben habe«, versprach der Kellner und eilte davon. Ben blieb mit
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