Die Spur des Drachen
Es war leicht, wegzuschauen, wenn es um einen Ort ging, den man nicht sehen konnte und auch nicht sehen wollte.
Für Moshe Baruch jedoch galt das nicht. Seine Dienstzeit als Rav nitzav, als Commissioner der National Police, war gekennzeichnet von mehreren Verhaftungen hochkarätiger Unterweltbosse, die ihre Millionen unter anderem mit Drogen und Prostitution verdienten. Diese Verhaftungen hatten seine Machtposition gefestigt, während Danielle vor Wut kochte. Sie fragte sich sogar, ob Baruchs Beziehung zu den Russen von langer Hand geplant und seine Erfolge ein direktes Ergebnis ihrer Beteiligung waren.
Sasha Borodin hatte sich im israelischen Badeort Netanyah niedergelassen, allgemein bekannt als das ›Miami des Mittelmeers‹. Einst Zentralstelle für den Anbau von Zitrusfrüchten, war es heute zu einem der beliebtesten Wohngebiete geworden, Heimat für eine Vielzahl amerikanischer und israelischer Ruheständler sowie für einige der wohlhabendsten Bürger Israels. Eine friedvolle Gemeinde, bis sich kürzlich durch Terroristenbombardements der Geruch nach Kordit und Schwefel unter den üppigen Duft der Orangenbäume gemischt hatte.
»Wenn ich Jude wäre … Israeli, meine ich«, begann Jim Black plötzlich, »hätte ich getan, was Sie getan haben. Hätte mich dem Sayaret angeschlossen und so weiter. Wie war die Ausbildung?«
»Hart.«
»Nicht anders als in Fort Bragg in den Staaten, so viel kann ich Ihnen sagen.«
»Für einen Mann oder einen Staat zu arbeiten, wo ist da der Unterschied?«
»Der Mann zahlt eine ganze Ecke besser, Dannygirl. Ich sage nur, Sie sollten es sich durch den Kopf gehen lassen und sich Möglichkeiten offen halten. Für den Fall, dass es Ihnen noch nicht aufgefallen sein sollte: Sie haben hier keine echte Zukunft. Vor allem müssen Sie hier lebend wieder rauskommen.« Er steckte sich ein Kaugummi in den Mund und schaute zu ihr hinüber. »Ich könnte Sie mit ein paar Leuten zusammenbringen, die gewisse Dinge ins Rollen bringen.«
»Ich habe andere Pläne.«
»Mit dem Araber, der Sie aus dem Knast geholt hat?«
»Er ist Palästinenser.«
»So zäh wie Sie?«
»In mancher Beziehung zäher als wir beide zusammen.«
Jim Black kicherte. »Sie sollten wirklich über mein Angebot nachdenken. Es könnte das Beste sein, das Sie eine ganze Weile hören werden, Dannygirl. Es würde mir wirklich Leid tun, Sie töten zu müssen.«
Danielle dachte an Dov Levys mit Eis bedeckte Leiche in Gaza. »Das kann ich im umgekehrten Fall nicht behaupten.«
55.
Zusammen mit der russischen Familie hielt Ben sich in der Deckung der Bäume. Zwei russische Soldaten kämpften sich den steilen Abhang in die Schlucht hinab. Ben beobachtete, wie sie seinen schrottreifen Wagen überprüften und anschließend oberflächlich die Umgegend des Fahrzeugs absuchten. Ein dritter Soldat versuchte einen langsamen Abstieg, einen Suchscheinwerfer in der Hand.
Der Mann landete flach auf dem Rücken und rutschte das letzte Stück auf dem Hosenboden.
Die anderen Soldaten lachten. Ihr Kamerad rappelte sich auf und wischte den Schmutz von seiner Uniform, bevor er die Lampe einschaltete und in sämtliche Richtungen schwenkte. Der Lichtstrahl kam Ben und der russischen Familie einige Male bedrohlich nahe. Die kleinste Bewegung hätte sie verraten. Die Eltern hielten ihre Kinder ganz fest. Ben bezwang das Verlangen, hinter dem Baum hervorzuspähen.
Einige Minuten später gaben die russischen Soldaten auf und machten sich an den schwierigen Aufstieg. Weder die Familie noch Ben sagten ein Wort, bis die Scheinwerfer des Lasters eingeschaltet wurden und der Motor dröhnend zum Leben erwachte. Sekunden später war der Lastwagen verschwunden.
»Wir hatten Glück«, meinte der jüngere Sohn.
»Glück?«, fuhr der Ältere ihn an. »Wir wären nicht einmal in der Nähe, wäre der Mann hier nicht gewesen! Wir wären längst über alle Berge!«
»Sie werden zurückkommen«, meinte der Vater. »Wir müssen los.« Er warf Ben einen Blick zu. »Wir nehmen Sie mit.«
»Wie heißen Sie?«, fragte Ben.
»Stepanski«, antwortete der Vater. »Ich heiße Victor. Das ist meine Frau Shavel, und das sind unsere Söhne Misha und Alexander.«
»Können Sie mir erzählen, was in Dubna passiert ist?« Ben fühlte sich nach dem Unfall noch immer zittrig.
»Ein Problem in einem der alten Lagerhäuser«, sagte Victor. »Wir haben nicht herausgefunden, was es war.«
»Aber ein paar Tage später«, nahm seine Frau Shavel den Faden auf, »hat das
Weitere Kostenlose Bücher