Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Spur des Drachen

Titel: Die Spur des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
Vom Netzwerk:
Boden unter dem Körper des Mannes war nass von Blut.
    Um ihn herum war Chaos ausgebrochen. Männer riefen und schrien, im Licht der auflodernden Flammen, als sie versuchten, die Lastwagen zu erreichen, die brennend auf der Brücke standen. Jemand rief nach Shaath.
    Al-Asi entschied, das Durcheinander zu seinem Vorteil zu nutzen. Er war klein und dünn für seine vierzehn Jahre. Dennoch war sein erster Gedanke, sich den bewusstlosen Jafir Kamal über die Schulter zu legen. Zweimal schlugen diese Bemühungen jämmerlich fehl, als die Knie des Jungen unter dem Gewicht nachgaben.
    Schließlich verschränkte er die Hände unter Jafir Kamals Achseln und zerrte ihn tiefer ins Gebüsch, wobei er eine fleckige Blutspur hinter ihnen herzog. Al-Asi wusste, wo der große Held den Wagen hatte stehen lassen, mit dem er hergefahren war, denn er selbst hatte sich im Kofferraum versteckt gehabt. Er hatte zugehört, wie die Ratsmitglieder sich über die Ankunft der Lieferung unterhielten und war sicher, dass Jafir Kamal Schritte unternehmen würde, diese zu vereiteln. Der Junge konnte nicht sagen, ob er mit Kamal wirklich einer Meinung war oder nicht, doch er verehrte den großen Helden, der selbst einen so kleinen Jungen, trotz dessen Jugend, mit Respekt behandelt hatte.
    Al-Asi wusste, dass er das Vertrauen der Ratsmitglieder in dieser Nacht verriet, und das machte ihm Sorgen. Sie hatten ihn aufgenommen, und wie dankte er es ihnen? Eines der Ratsmitglieder hatte ihn sogar in seine Familie geholt, mehr als Diener zwar denn als angenommenen Sohn, doch er hatte ihm auf diese Weise immerhin ein Dach über dem Kopf gegeben.
    Al-Asi fragte sich, ob er noch willkommen sein würde, wenn all das hier vorbei war.
    Er fand Jafir Kamals Wagen in der Dunkelheit und schaffte es mit Mühe, den großen Mann auf den Rücksitz zu verfrachten. D er Geruch nach brennendem Öl und verkohltem Stahl war durchdringend, selbst hier noch, und die Wracks der russischen Laster auf der Allenby-Brücke brannten weiterhin hell genug, um die Dunkelheit zu verscheuchen.
    Als er sich hinters Steuer setzte, hatte er keine Ahnung, wohin er fahren sollte. Es hatte keinen Grund gegeben, so weit voraus zu denken, da er sich niemals in dieser Lage gesehen hatte. Er hatte Jafir Kamal begleitet, um zuzuschauen, und nicht, um ihn zu beschützen. Shaath anzugreifen war eine unerklärliche und völlig unerwartete Reaktion gewesen. Ein plötzlicher Ausbruch von Leidenschaft, aus der Gewissheit geboren, dass der Hüne drauf und dran war, noch einmal auf Kamal zu schießen, so oft, bis Jafir Kamal nicht mehr atmete.
    Al-Asi war zu Tode erschrocken gewesen in diesem Moment, zugleich aber wild entschlossen, seinen Helden zu retten. Shaath wurde zum Opfer des Hasses, der in ihm gelodert hatte wie eine grelle Flamme.
    In der Vorstellung des Jungen war der große Kamal so dankbar, dass er, al-Asi, ihm das Leben gerettet hatte, dass er ihn adoptieren und unter seine Fittiche nehmen würde. Er würde ihn zum palästinensischen Krieger ausbilden lassen, damit er nie mehr irgendwen oder irgendetwas zu fürchten brauchte.
    Aber wohin jetzt?
    Ein Arzt! Jafir Kamal brauchte einen Arzt!
    Der Muktar seines alten Dorfes war Arzt. Der Muktar lebte jetzt in einem Flüchtlingslager, in dem auch das zukünftige Oberhaupt des palästinensischen Protective Security Service gelebt hatte, bis er davongelaufen war, nachdem man ihn geschlagen hatte. Das Flüchtlingslager war einige Kilometer entfernt, ei ne langwierige Fahrt, auf der er mit israelischen Patrouillen rechnen musste. Doch der Junge schaffte es, sich von den Israelis fern zu halten; zum Teil deshalb, weil er den ganzen Weg mit ausgeschalteten Scheinwerfern fuhr. Er kroch dahin, und die Schwärze der Nacht war eine perfekte Tarnung.
    Er parkte am Rand des Lagers, das von Leibern wimmelte, die auf einer schlammigen Ebene zusammengedrängt in Zelten hausten. Bei dem Gestank ungeklärter Abwässer, verdorbener Nahrungsmittel und menschlicher Angst drehte sich al-Asi der Magen um. Es war schlimmer, als er es in Erinnerung gehabt hatte.
    Auf dem Rücksitz des Wagens stöhnte Jafir Kamal auf.
    Er lebte noch, das war wenigstens etwas. Es reichte, al-Asi Hoffnung zu geben. Er eilte durchs Lager, bis er seinen Dorfmuktar gefunden hatte, einen barschen Mann in den Sechzigern, der in Frankreich zur Schule gegangen war. Der Muktar kam mit seinem Arztkoffer, seine Hände dunkel vom getrocknetem Blut mehrerer Verwundeter in seinem Lager, die er vermutlich

Weitere Kostenlose Bücher