Die Spur des Dschingis-Khan
war es dem chinesischen Volk kundgegeben worden. Bis in die entferntesten Teile des Landes hatte der Telegraph die Nachricht verbreitet. Und während noch die Herzen der Millionen unter dem Eindruck der Ereignisse standen, kam die zweite Botschaft:
»Schanti, Tothon-Khan, der Herzog von Dobraja, ist Regent.«
Da regte es sich im Lande. Gefesselte Hände zerrten an ihren Banden. Gefesselte Zungen wollten sprechen. Und dann war es wieder still wie am Tage zuvor.
In der Nacht, die dazwischen lag, hatte die Faust des Schanti schon zugegriffen. Was gegen ihn war, befand sich in den Händen seiner Häscher. Die Stimmen der führerlosen Gefolgschaft wurden schwächer, und dann verstummte alles vor der Wucht der neuen Losung:
»Krieg den Europäern!«
Wie ein Steppenfeuer lief es durch die weiten Ebenen des Reiches und entflammte alle Geister.
Und dann schallte es weiter und fand sein Echo auf der ganzen Erde … Krieg!?
Es war um die sechste Morgenstunde desselben Tages. Toghon-Khan saß im großen Beratungszimmer des Palastes. Die fensterlosen Wände waren bedeckt mit großen und kleinen Karten. Die langen, niederen Tische waren verborgen unter den Stößen von Papieren und Plänen.
Die kleine Gestalt des Regenten verschwand fast in dem großen Sessel. Er schien zu schlafen. Die Augen waren geschlossen, die Lippen fest zusammengepreßt. Die ganze Nacht hatte er allein in dem Raum zugebracht. Ruhelos war er von einer Karte zur anderen geschritten, immer wieder die Stellung der kleinen Nadelfähnchen prüfend und vergleichend, immer wieder Zahlenkolonnen zusammenstellend und gegeneinandersetzend.
Dann hatte er sich in den Sessel geworfen und versucht, in kurzem Schlaf Erholung zu finden … Um sieben Uhr waren seine Generale zu ihm befohlen.
Mit halbgeschlossenen Lidern blickte er vor sich hin. Der Schlaf wollte die Herrschaft über ihn gewinnen. Nur noch undeutlich sah er die Papiere auf den Tischen … weite, weiße Flächen …
Seine Hände umkrampften die Lehnen, sein Oberkörper beugte sich vor.
Schnee …!
Er fiel in den Sessel zurück und preßte die Hände auf die Augen.
Was war das damals am Tage des Einzuges des Kaisers? Schwerer Schnee aus lichtem Frühlingstag …
War es ein Zeichen des Himmels? War alles Menschenwerk? Werk dieses einen da drüben? Dann …
Mit jähem Ruck riß er sich empor, die Augen weit geöffnet. Das Weiße vor ihm gewann feste Gestalt, es waren die weißen Papiere, die dort auf den Tischen lagen. Nervös fuhr er sich über die Augen.
Menschenwerk? Nein! Kein Mensch würde jemals so tief in die Geheimnisse der Natur eindringen, kein Mensch jemals die Folge der Zeiten verändern können.
»Zuviel habe ich gearbeitet in den letzten Wochen … zuviel war es, was meine Nerven spannte. Ruhe brauche ich … die Ruhe wird kommen, wenn die Würfel gefallen sind.«
Er drückte auf den Bronzeknopf. Ein Adjutant trat ein.
»Die Generale!«
Sie traten in den Raum. Die Feldherrn des großen KubelaiKhan. Seine Kampfgenossen.
Sie verneigten sich tief. Toghon-Khan setzte sich. Schweigend nahmen die anderen ihre Plätze ein.
Sein Blick glitt prüfend über die Versammelten.
»Es ist geschehen!« kam die Antwort.
»Sind unsere Hände frei, um das große Werk, das der Kubelai-Khan begann, zu vollenden?«
»Sie sind es!«
»Das Schiedsgericht über das Ilidreieck hat gegen uns entschieden! … Heute nacht kam die Nachricht zu meinen Händen. Daß es so kommen würde, wußtet ihr alle. Ein Glied des Reiches soll von uns gerissen werden. Wir werden das nicht dulden!«
Er blickte in die Runde.
»Die Antwort an Europa, in der wir dem Schiedsgericht die Anerkennung verweigern, liegt bereit. Wir könnten es darauf ankommen lassen, ob sie es wagen, sich ihre Beute mit Gewalt zu holen. Ich bezweifle es sehr.«
Ein dünnes Lächeln umspielte seine Lippen.
Die Zeit ist gekommen! Morgen fällt die Entscheidung in Amerika. Sie wird das Signal sein für den Kampf aller gegen alle. Wir stehen nicht allein.
Die Europäer haben es gewagt, uns eine Drohnote zu schicken, weil Brüder von uns den Kirgisen zu Hilfe geeilt sind. Ich habe ihnen geantwortet, daß das Unrecht auf ihrer Seite liegt, und meinerseits gedroht, auf die Seite der Unterdrückten zu treten, wenn die grausamen Verfolgungen nicht sofort aufhörten. Als Antwort hat man gestern über zweihundert dieser Freiheitskämpfer an der Grenze des Kuldschagebietes erschossen.
Unsere Geduld ist erschöpft! Wir werden marschieren!«
Unbewegt
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