Die Spur des Tieres
wirkte nicht sehr beeindruckt. »Sie wähnen sich als Herrscher, gewiß, doch dabei übersehen sie, daß sie nur deshalb noch existieren, weil Er sie in Seinen Plan eingebunden hat. Manchmal denke ich, Er wartet nur den Tag, die Stunde ab, da die Vampire alle maßgeblichen Positionen unterwandert haben, um dann zuzuschlagen. Um die blutgierigen Sippen auszulöschen - und durch das Verwaisen aller bedeutenden Ämter die Menschheit ins völlige Chaos zu stürzen. Krieg, Chaos und Niedergang müßten die Folgen sein, rund um den Erdball - der ideale Nährboden also, um Seine Macht ins Unendliche zu steigern!«
Lilith fröstelte, als sie begriff, welches Szenario Salvat gerade vorweggenommen hatte.
Das Sterben der Vampire in der Zukunft!
Aber nicht Satan, sondern GOTT hat deren Untergang beschlossen , dachte sie. Und wie durch ein Wunder sind Chaos und Kriege ausgeblieben. Die Welt ist noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen ...
War sie das wirklich? Mußte die Welt, die sie verlassen hatte, nicht erst noch aus dem, was hier, heute und in den nächsten Jahrhunderten geschah, erwachsen?
Die Gegenwart ist die Summe der Vergangenheiten, dachte Lilith.
Aber was wurde aus der Zukunft, wenn Details der Vergangenheit verändert wurden? Zum Beispiel durch ihr Eingreifen in die Geschichte ...?
Die Problematik des Zeitparadoxons beschäftigte dort, woher sie kam, vornehmlich phantasiebegabte Schriftsteller. Im Grunde hielt Lilith es für unmöglich, etwas zu verändern, was von ihrer Warte aus bereits geschehen war. Stimmte das, würde nichts und niemand die Zukunft verändern können.
Aber falls es doch Wege der nachträglichen »Korrektur«, Wege der Manipulation gab ... was dann?
Was hätte ich dann seit meiner Ankunft bereits angerichtet? Welche irreparablen Schäden hätte ich verursacht?
WIE WÜRDE DIE ZUKUNFT AUSSEHEN, IN DIE SIE UNTER ALLEN UMSTÄNDEN ZURÜCKKEHREN WOLLTE?
»Ich tue mir schwer, den Satan als gegeben hinzunehmen«, sagte Lilith.
»Das ist . normal«, nickte Salvat.
Das kurze Stocken erinnerte Lilith daran, daß Salvats Attacke gegen die Brut aus dem Kokon nicht folgenlos geblieben war. Er mußte fürchterlichen Raubbau mit seinen Kräften betrieben haben. In seinen Augen war kaum noch Glanz.
»Ich hatte schon mit Dämonen zu tun. Könnte es sich bei dem, der all dies hier inszenierte, nicht auch um einen Dämon handeln? Ein Wesen aus einer Zwischenwelt?«
Salvat schüttelte entschieden den Kopf. »Nein.«
»Was macht dich so sicher?«
»Wir standen uns nicht zum ersten Mal gegenüber.«
»Nicht zum ersten Mal ...?«
»Natürlich nicht. Er vertritt seine Interessen seit Urzeiten.«
Lilith wechselte einen Blick mit Tobias. Auch der junge Heidelberger mußte hören, was Salvat preisgab. Aber vermutlich schwirrte ihm der Kopf schon genügend von den vorherigen Ereignissen. Er zuckte hilflos mit den Schultern.
Lilith wandte sich wieder Salvat zu. »Dann müßtest du selbst ...«
Salvats Züge wirkten wie aus Blei gegossen.
»... auch uralt sein!« vollendete Lilith ihren Satz.
»Das tut nichts zur Sache«, wiegelte er ab.
Für mich schon, dachte Lilith. Es wäre eine Erklärung, warum ich dir in der Zukunft begegnet bin und du aussahst wie heute.
Der Salvat, mit dem sie von Regensburg bis nach Heidelberg gereist war, hatte sich, was Ausstrahlung und Verhalten anging, von dem Salvat der Zukunft unterschieden. Inzwischen ähnelte er ihm jedoch zusehends mehr - seit das Ungeheuer ihn beinahe in den Untergang gerissen hätte. Seit die Schwäche in ihm fraß und er sich vorwerfen mußte, versagt zu haben.
»Seit sich unsere Wege getroffen haben«, erhob Salvat erneut die Stimme, »frage ich mich, was dich so außergewöhnlich macht, Lile-na.«
»So heißt du also«, meldete sich wie auf Stichwort Tobias zu Wort, der die ganze Zeit geschwiegen hatte. Wären die Umstände nicht eher zum Heulen gewesen, Lilith hätte vielleicht laut losgeprustet.
Als sie sich Salvat vorgestellt hatte, war ihr beinahe ihr wahrer Name herausgerutscht, und als sie mit »Lena« korrigiert hatte, war »Lilena« daraus geworden.
Seit sie um den Bestand der Zukunft fürchtete, wagte sie weniger denn je, sich Geschöpfen, die in dieser Zeit verwurzelt waren, zu offenbaren. Nun schien es ihr von fast existentieller Bedeutung, es nicht zu verraten. Mochte man weiter glauben, sie sei das durchtriebene kleine Luder Lilena . ..
»Ich bin nichts Besonderes«, sagte sie in die Pause hinein, die Salvat
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