Die Spur des Tieres
Teufel wirklich ihre Gedanken lesen? Besaß er tatsächlich solche Allmacht, oder interpretierte auch er - nur um vieles perfekter als sie - Stimmungslagen, Gesten, Blicke .?
»Welche Umstände?«
Beth formulierte die Antwort in Gedanken. Nur in Gedanken.
Er reagierte nicht.
»Welche Umstände?«
Sie straffte sich. Dann wies sie zu David, der hier in Heidelberg als hugenottischer Tuchhändler Charles Belier bekannt war und es zu großem Wohlstand gebracht hatte.
»Er ist der Preis«, sagte sie und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wieviel ihr an diesem Handel gelegen hätte.
Der flimmernde Mann schüttelte den Kopf. »Das ist nicht möglich. Er ist todgeweiht. Er hat alle Energie, die in ihm steckte, abgebrannt, um das Feld für meine Ankunft und Wiedervereinigung zu bereiten. Er wird sterben - heute Nacht. Und selbst wenn ich ihm nicht das Leben zur vorbestimmten Stunde nähme, würde ihm nur noch eine karge Frist bleiben. Du brauchst ihn nur anzusehen. Es wäre dumm, dafür die eigene Seele in die Waagschale zu werfen!«
Beth schüttelte langsam den Kopf. Es irritierte sie, daß dieses Wesen nicht blind nach jedem Pfand griff, das ihm angeboten wurde, sondern sie - im Gegenteil - fast noch davon abbringen wollte.
»Du kannst abgelaufenen Uhren nicht rückwärts laufen lassen?«
»Nein«, sagte er, und es schien die Wahrheit.
»Vielleicht kann ich es - und ich verlange nicht mehr von dir, als daß du ihn schonst und mich gewähren läßt! Laß mich versuchen, ob ich ihm wiedergeben kann, was eine Laune der Natur ihm nahm!«
»Nein!«
Diesmal klirrte die Stimme, die bei ihren bisherigen Begegnungen nie ein lautes Wort verloren hatte. Aber dieses Treffen stand unter anderen Vorzeichen.
Was war in der Kirche passiert? Hatte das Schwert, das um ein Haar David getötet hätte, IHN getroffen? Lag die Schiefe seines Anblicks, das Flimmern seiner Maske, die Blindheit seiner Augen daran?
»Warum nicht?« fragte Beth.
»Weil dein Talent zu kostbar ist, um es zu vergeuden! Und weil -«, er stockte kurz, »- dies kein Ort für Experimente, kein Ort zum Verweilen ist ...!«
Zum erstenmal hatte Beth das Gefühl, daß dem Teuflischen die Zeit unter den Nägeln brannte, und es freute sie diebisch.
Für eine Sekunde.
Dann trat wieder ihre Sorge in den Vordergrund. Die Sorge um David. Und erstaunlicherweise achtete sie erst jetzt wieder auf die Frau, die an der Seite ihres Sohnes stand: Beatrice Belier, seine hagere, faltenübersäte, ansonsten aber unscheinbare Gemahlin, die dastand, als ginge sie dies alles nichts an. Als beträfe es nur andere -und das war fast noch verrückter als alles sonstige, was sich in diesem Kontor zutrug!
»Wirst du auch seine Frau töten?« fragte sie.
Ihr Gegenüber war geübt in menschlicher Gestik. Seine Handbewegung signalisierte, daß er ihr Unwissen fast mitleidig fand. »Das erübrigt sich.«
»Erübrigt sich?«
»Du hast sie nicht erkannt? Du weißt nicht, wer die wenigen Jahre, die ihm zugestanden waren, an seiner Seite lebte?«
»Nein .«
Obwohl Beth nach diesen Worten Beatrice schärfer ins Auge faßte, mußte sie verneinen. Diese Gestalt war ihr in gewisser Hinsicht vertraut - aber doch erst, seit sie ihr Porträt draußen in der Hausfassade erblickt hatte, oder?
SEIN Gelächter zerstörte den Versuch, mehr darin zu sehen.
Doch im nächsten Moment . veränderte sich Beatrice Belier.
Es war, als liefe ein Film rückwärts - und im ersten Moment sah es aus, als strafte der Teuflische seine eigene Behauptung, er könnte verlorene Lebenszeit nicht zurückgeben, Lügen.
Doch noch während sich die Züge von Davids »Gemahlin« immer mehr verjüngten, sich immer stärker glätteten und die Alterspatina abschüttelten, desto offensichtlicher wurde die Farce.
Der Betrug, dem sich David hingegeben hatte.
Und die Perversion, die dahintersteckte.
Jünger und jünger wurde das Antlitz der Frau, die nicht echt sein konnte, weil sie sich mehr und mehr in einen Spiegel verwandelte.
Einen Spiegel, in dem Beth . mit sich selbst konfrontiert wurde!
»Ich?« rann es über ihre Lippen. Sie begriff es nicht. Sie verstand auch nicht, warum sie sich - fast so alt wie David in seinem verfallenen Körper - nicht schon früher wiedererkannt hatte.
»Der Mensch verdrängt sein Schicksal allzu bereitwillig«, leistete der Teuflische ihr Hilfestellung zu einer Erklärung. »Mitunter glaubt er nicht einmal von seinem wahren Spiegelbild, daß es ihn darstellt. Meist fühlt er sich
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