Die Spur des Verraeters
Schaluppe lief aus der Hafenbucht aus, und über die Wellenberge hinweg erblickte Sano nun zum ersten Mal den langen, geschwungenen Rumpf und die vielen Segel des holländischen Schiffes. Vor Angst lag ihm der Magen plötzlich schwer wie ein Stein im Leib, als ihm klar wurde, dass er sich blind auf Iishino verlassen musste, wenn es um das Dolmetschen ging. Und allein schon seiner herablassenden Meinung über die Holländer wegen war Iishino nicht der geeignetste Überbringer schlechter Nachrichten.
»Sobald wir das Schiff erreicht haben, werdet Ihr genau das übersetzen, was ich sage«, befahl Sano mit größerer Zuversicht, als er sie tatsächlich empfand.
Bald ragte das holländische Segelschiff wie ein schwimmendes, majestätisches Schloss über der Schaluppe auf und ließ sie zwergenhaft klein erscheinen. Unter dem Oberdeck im Heckteil des Seglers befanden sich zwei Ebenen – gewissermaßen zwei Etagen im Inneren des Rumpfes. Drei Hauptmasten und ein langes, geneigtes Bugspriet trugen das komplizierte Geflecht der Takelage. Viereckige Segel blähten sich im Wind. An der Spitze der Masten flatterten farbige Flaggen: die gelbe und leuchtend rote Nationalflagge Hollands sowie die Fahne der Vereinigten Ostindischen Kompanie mit ihren roten, weißen und blauen Querstreifen. Über den Bug ragte ein nach oben gebogener Balken hinaus, an dessen Ende sich die riesige Figur eines Löwen befand, auf der drei Barbaren standen. Andere eilten über Deck oder kletterten in der Takelage umher. Rufe schallten über das Wasser: Die Holländer hatten die Schaluppe gesichtet. Sanos Erregung ließ ihn seine Furcht beinahe vergessen.
»Sagt den Barbaren, sie sollen halten«, befahl er Iishino.
Der Dolmetscher rief irgendetwas zu den Holländern hinauf. Augenblicke später wurden die Segel aus dem Wind genommen und erschlafften. Sano befahl den Ruderern, die Schaluppe am vorderen Teil des Seglers längsseits zu steuern. Währenddessen starrte er auf die Männer, die hoch über ihm standen. Alle hatten langes Haar, das ihnen bis auf die Schultern fiel, doch war es nicht golden, wie Sano erwartet hatte, sondern rot oder braun, oder es besaß die Farbe reifen Getreides. Aber es war in der Tat seltsam hell, wie Sano mit einer Mischung aus Erschrecken und Faszination feststellte. Ein Mann in der Mitte der Gruppe hatte sogar kupferrote Locken, die im Sonnenlicht wie Feuer glühten. Der weit offene Kragen seines weißen Oberhemds ließ erkennen, dass auch sein Brusthaar flammend rot und so dicht wie das Fell eines Tieres war. Die anderen hatten blondes oder hellbraunes Haar und trugen lange schwarze Umhänge sowie breitkrempige Hüte von gleicher Farbe.
Als die Barbaren die Hände zum Gruß hoben, verbeugte sich Sano. »Iishino«, sagte er, »stellt mich diesen Leuten vor, und sagt ihnen, dass sie in Japan willkommen sind.« Sano sprach laut und herrisch, damit die Barbaren erkannten, dass er der Mann war, der bei den japanischen Besuchern das Sagen hatte. Fasziniert blickte er in die Gesichter der Holländer, die nicht weiß waren, wie stets behauptet wurde, sondern von einem dunklen Rot, als würde das Blut unter einer dünnen Schicht durchsichtiger, faltiger gebräunter Haut fließen. Doch alle besaßen tatsächlich jene runden, hellen Augen, wie man es von ihnen erzählte, und obendrein die größten und dicksten Nasen, die Sano je gesehen hatte. »Iishino! Sagt ihnen, sie sollen Anker werfen.«
Iishino rief den Barbaren eine lange Aufeinanderfolge seltsamer kehliger Laute zu. Die offensichtlichen Fähigkeiten des Dolmetschers machten seine charakterlichen Fehler und Schwächen wett, denn Iishino sprach flüssig und ohne zu stocken, und der rothaarige Barbar erwiderte prompt irgendetwas, wobei er ein gutturales Kauderwelsch hervorstieß, das sich genauso anhörte wie die Laute, die der Dolmetscher soeben von sich gegeben hatte. Die anderen Barbaren stimmten in diesen Lärm ein. Wenngleich sie Sano wie die Angehörigen einer fremden Gattung zweibeiniger Lebewesen erschienen, erkannte er an ihrem Kopfschütteln, dass sie verwundert waren.
»Der Mann in Weiß ist Kapitän Pieter Oss«, sagte Iishino. »Die anderen sind Kaufleute von der Ostindischen Kompanie. Sie wollen wissen, weshalb Ihr sie hier zum Halten aufgefordert habt und nicht an der Insel Takayama, an der sie für gewöhnlich anlegen.«
Sano bekam allmählich einen steifen Hals, da er ständig in die Höhe schauen musste. Welche Unterschiede die holländische und die
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