Die Spur des Verraeters
die er sich aufgebürdet hatte. Furcht breitete sich in ihm aus. Erst jetzt wurde ihm deutlich, zu welchem Wagnis die Neugier und der Wunsch nach persönlicher Erfüllung ihn getrieben hatten.
Nun aber war es zu spät, seine Entscheidung rückgängig zu machen. Er hatte diese Aufgabe übernommen, und jetzt war es seine Pflicht, sie zu Ende zu führen.
»Ich lasse Euch von meiner privaten Schaluppe zum holländischen Segelschiff bringen«, sagte Statthalter Nagai, dem deutlich die Erleichterung anzumerken war, bei der Suche nach dem vermissten Holländer nicht mehr die Verantwortung zu tragen. »Der oberste Dolmetscher Iishino wird Euch begleiten.« Nachdem Nagai den Wachposten angewiesen hatte, die Befehle zu überbringen, lächelte er Sano an. »Ich wünsche Euch viel Glück, sôsakan-sama .«
3.
S
ano hielt sich an der Reling fest, während zwanzig Ruderer die Schaluppe des Statthalters in rhythmischen Schüben durch die Hafeneinfahrt in Richtung des holländischen Schiffes trieben, das noch nicht in Sicht war. Auf der Reise von Edo hierher war Sano kein einziges Mal seekrank gewesen. Nun aber drehte sich ihm der Magen um, und trotz der heißen Sonne, die vom Himmel brannte, war ihm kalt. Beim Anblick der wogenden Wellen und der vorüberziehenden Felsen wurde ihm schwindlig, sodass er zu den Göttern betete, dass sie ihm Kraft und Mut verliehen.
Wie die meisten Japaner hatte Sano keinerlei Erfahrungen mit der Welt jenseits des heimatlichen Inselreiches. Instinktiv misstraute er Ausländern und fürchtete sie – besonders die weißhäutigen Barbaren, über die viele Gerüchte kursierten. Die Holländer seien monströse Riesen, hieß es, die Milch von Kühen tranken und einen entsprechend üblen Gestank verbreiteten; sie hätten große runde Augen, wie Hunde, und trügen Schuhe mit hohen Absätzen, weil nur der vordere Teil ihrer hundeähnlichen Füße den Boden berührte; außerdem vergötterten sie Geld und Gold, hieß es, und wären bereit, dafür zu töten.
Nichts von alledem hätte Sano Kopfzerbrechen bereitet, wo er auf der Deshima lediglich zwei Holländer befragen musste; nun aber würde er sich an Bord eines Handelsschiffes Hunderten dieser fremdländischen Ungeheuer gegenübersehen und wurde nur von einem kleinen Trupp japanischer Wachsoldaten begleitet.
» Sôsakan-sama! Sôsakan-sama! « Der oberste Dolmetscher Iishino kam zu Sano geeilt. »Warum seid Ihr nicht in der Kajüte? Drinnen ist es viel gemütlicher als hier! Sehr viel gemütlicher!«
»Ich brauche frische Luft«, erwiderte Sano und kämpfte gegen die erneut aufkeimende Übelkeit.
»Aber die Sonne! Die Sonne! In der Sonne ist es viel zu heiß für Euch!«
Dolmetscher Iishino war ungefähr im gleichen Alter wie der einunddreißigjährige Sano. Iishinos großer Kopf mit dem spitz zulaufenden Gesicht saß auf einem dünnen Körper, und seine großen, flinken, aufmerksamen Augen verliehen ihm den Eindruck ständiger Wachsamkeit. Wenn er lächelte, zeigte er kräftige, gesunde weiße Zähne. Doch sein hervorstechendstes Merkmal war seine ständige Ruhelosigkeit. Als er einen kühlen Platz für Sano suchte, waren seine Bewegungen schnell und hastig; als er Sano schließlich in die schattige Kajüte der Schaluppe führte, pochten seine Füße, die in Sandalen mit Holzsohlen steckten, in schnellem Rhythmus über Deck, während er unruhig die Griffe seiner Schwerter befingerte. Sano glaubte beinahe das Summen nervöser Energie zu vernehmen, das von Iishino ausging. Inzwischen vermisste er den ruhigen und bedächtigen Hirata schmerzlich.
»Ist es hier nicht angenehmer? Viel angenehmer?« Dolmetscher Iishino lächelte Sano an und suchte in dessen Gesicht hoffnungsvoll nach Anerkennung.
»Ja, allerdings«, erwiderte Sano. Im Stillen fand er sich schon damit ab, dass dieser unruhige, aufdringliche Dolmetscher vorerst sein engster Begleiter sein würde. Immerhin konnte Iishino wahrscheinlich Sanos dürftiges Wissen über die Holländer mehren.
Vom Studium alter Schriftrollen wusste Sano, dass diese Barbaren aus einem kleinen Land in Europa kamen, dessen sumpfige, karge Niederungen viele Bewohner auf das Meer hinaus getrieben hatten, die sich ihr Brot als Fischer, Händler, Entdecker und Seefahrer verdienten. Seit vielen Generationen hatten die Holländer mit Frankreich, Deutschland, Norwegen, Polen, den Mittelmeerländern und dem osmanischen Reich Handel getrieben, bis sie schließlich über die westliche Hemisphäre hinaus weit nach Osten
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