Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
Vom Netzwerk:
japanische Kultur auch aufweisen mochten: Ein Mann, der tiefer stand oder saß als ein anderer, kam sich unwillkürlich unterlegen vor.
    »Kapitän Oss«, rief Sano und sprach Titel und Namen so gut aus, wie seine Zunge es erlaubte. Er war froh, dass er die Barbaren an ihrer unterschiedlichen Kluft und der Haarfarbe auseinander halten konnte, denn die Gesichter sahen eines wie das andere aus. »Ich bitte um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen.«
    Iishino schnappte erschreckt nach Luft. »Das könnt Ihr nicht tun, sôsakan-sama ! Diese Barbaren sind gefährlich, sehr gefährlich! Sagt dem Kapitän einfach, dass wir sein Schiff versenken, wenn er nicht gehorcht.«
    Sano sah keinen Grund für feindselige Handlungen; außerdem wäre es eine leere Drohung gewesen, militärische Schritte zu unternehmen, denn fast sämtliche Sicherheitskräfte der Stadt waren auf der Suche nach Direktor Spaen. Außerdem übte das Segelschiff große Anziehungskraft auf Sano aus, auch wenn er sich vor den Barbaren selbst ein wenig fürchtete.
    Einst hatten auch die Japaner die halbe Welt umreist. Gesandte waren in Rom gewesen, und in Spanien, um den Handel zu fördern und mehr über den Westen zu erfahren. Mönche waren bis nach Russland, Indien, Persien, Portugal und sogar Jerusalem gepilgert. Händler hatten sich in China, Tonkin und in der Neuen Welt niedergelassen. Söldner hatten in Malaysia, auf den Philippinen und in Indonesien gekämpft; Verbannte wurden nach Kambodscha ins Exil geschickt. Doch vor fünfundfünfzig Jahren hatte der bakufu Auslandsreisen untersagt; das Militärregime hatte befürchtet, die Ausländer könnten sich mit den japanischen Bürgern gegen die Regierung verschwören.
    Als Junge hatte Sano sich danach gesehnt, über die Meere zu segeln, auch wenn er stets gewusst hatte, dass es ein Traum bleiben würde. Nun aber, als er das holländische Schiff sah, erwachten seine Kinderträume wieder zum Leben, und seine Sehnsüchte steigerten seinen Zorn auf den bakufu , der seine Freiheit und sein Streben nach Wissen beschnitt.
    »Tut, was ich sage, Iishino- san «, befahl er.
    Iishino rief Sanos Bitte zu den Barbaren hinauf. Kapitän Oss nickte und gab durch Handzeichen zu verstehen, dass die Schaluppe längsseits des Backborddecks anlegen sollte.
    » Sôsakan-sama ! Bitte, seid vorsichtig!«, zischte Iishino.
    Sano blickte ehrfürchtig auf den Segler, als die Schaluppe ihn umrundete. Der Rumpf zeigte die Spuren einer langen Reise: tiefe Kratzer von Felsen und Riffen; geflickte Lecks, Algen und Krustentiere, die sich entlang der Wasserlinie am Holz des Rumpfes festgesetzt hatten. Das hohe, rechteckige Heck, das von bauchigen Laternen erleuchtet wurde, sah wie die Fassade eines bizarren Tempels aus, an der vergoldete Girlanden zwei Reihen gläserner Fenster mit Mittelpfosten voneinander trennten. Die Segel aus ungebleichtem Leinen waren an vielen Stellen geflickt. Die Holländer waren von der anderen Seite der Welt gekommen; sie hatten nicht nur den Elementen, sondern auch anderen Gefahren getrotzt. Quadratische Holzklappen am Rumpf ließen erkennen, wo sich die Kanonenschächte befanden: Dieses Schiff war dafür gerüstet, sich mit Macht gegen feindliche Bedrohungen zu verteidigen.
    Auf einen Befehl des holländischen Kapitäns hin schwärmten die Matrosen über Deck, um beim Anlegen der Schaluppe zu helfen. Mit ihrem zotteligen Haar, den struppigen Bärten und den nackten Beinen, Armen und Oberkörpern sahen die Barbaren noch brutaler und gefährlicher aus als ihr Kapitän.
    »Wer ist ihr Anführer?«, wandte Sano sich an Iishino.
    »Oh, Piet Oss, der Kapitän. Er ist der Befehlshaber des Schiffes. Aber die gut gekleideten Männer neben ihm sind von der Ostindischen Kompanie, und der gehört das Schiff.«
    Diese wenig hilfreiche Antwort trug nicht gerade zu Sanos Zuversicht bei. Er kletterte eine Strickleiter hinauf, die am Schiffsrumpf heruntergelassen wurde, und sah erleichtert, dass seine Wachen ihm widerspruchslos folgten. Schließlich betrat er das Deck des fremden Schiffes – und damit eine neue, unbekannte Welt.
    Die glatten Decksplanken waren dick und fest, doch in den Masten knarrte und quietschte es, die Segel klatschten, und die Takelage gab ächzende Laute von sich. Das Schiff schien zu leben wie ein riesiges Ungeheuer. Sano bemerkte, dass drei Männer zu ihm kamen: Kapitän Oss und zwei Kaufleute von der holländischen Ostindischen Kompanie. Der Geruch, den diese Männer verströmten, traf Sano wie ein

Weitere Kostenlose Bücher