Die Spur des Verraeters
vorgedrungen waren. Kaufleute hatten die Vereinigte Ostindische Kompanie gegründet, ein privates Unternehmen, welches das Monopol für den einträglichen Gewürzhandel besaß. Während der nunmehr etwa achtzig Jahre ihres Bestehens hatte die Kompanie ein Vermögen mit dem Verkauf von Gewürzen gemacht: Gewürznelken von Celebes, Muskatnüsse von den Molukken, Pfeffer aus Java und Sumatra, Zimt aus Ceylon. Die Kompanie unterhielt in Ostindien eine ständige Privatarmee von zwölftausend Mann und schickte jedes Jahr zwanzig Handelsschiffe.
Vor neunundachtzig Jahren hatten die holländischen Kaufleute das erste Mal Japan erreicht. Da sie sich einverstanden erklärten, Handel zu treiben, ohne dabei den Versuch zu unternehmen, die christliche Religion in Japan zu verbreiten, hatten sie die Portugiesen als führende ausländische Macht verdrängt. Inzwischen waren die Holländer die einzigen weißen Barbaren, denen der Aufenthalt in Japan erlaubt war.
Weiter reichte Sanos Wissen nicht, sodass er schnellstmöglich mehr über diese Menschen lernen musste. »Dolmetscher Iishino«, sagte er, »erzählt mir von den Gewohnheiten der Holländer. Wie redet man sie an?«
Iishino strahlte vor Freude, dass Sano Rat bei ihm suchte. »Oh, diese Barbaren sind ganz anders als wir Japaner, ganz anders. Ihre Kaufleute führen Kriege untereinander, wie bei uns die Samurai. Sie sind würdelose Geizhälse und … verzeiht, sôsakan-sama , aber Ihr steht schon wieder in der Sonne. Bitte, geht in den Schatten, in den Schatten.«
Sano war ans Fenster getreten, da ihm Iishinos unruhiges Gehabe auf die Nerven ging. Nun bedachte er den Dolmetscher seiner ständigen Ermahnungen wegen mit einem finsteren Blick.
»Ich versuche doch nur, Euch zu helfen«, sagte Iishino kleinlaut.
»Dann beantwortet mir meine Fragen«, erwiderte Sano gereizt. »Was ist nun mit den holländischen Gebräuchen?«
Iishinos Lächeln kehrte wieder. »Redet die Barbaren mit ihren Titeln und ihren Familiennamen an. Und verzichtet auf Förmlichkeiten. Ihr müsstet einmal erleben, wie ungeduldig diese Leute bei Zeremonien werden – es ist zu komisch. Zu komisch.« Iishino lachte; ein lautes, wieherndes Geräusch. »Wenn die Barbaren sich in unserem Land aufhalten, müssen sie sich nach unseren Gewohnheiten richten, so verlangt es das Gesetz. Trotzdem sind sie derb und ungehobelt. Und sie sind riesengroß und stinken abscheulich, ganz abscheulich.«
Die holländischen Barbaren schienen in der Tat überaus fremdartig zu sein. Als die Schaluppe die Insel Takayama am Eingang der Hafenbucht umfuhr, nahm Sanos erwartungsvolle Spannung weiter zu.
»Erlaubt mir, offen zu sprechen, sôsakan-sama – ich bin sicher, dass Ihr ein sehr tüchtiger Mann seid, sehr tüchtig. Aber da Ihr keine Erfahrungen mit den Barbaren habt, wäre es dumm von Euch, würdet Ihr in einer so ernsten Lage wie dieser mit den Holländern sprechen. Und wie ich gehört habe …«
Iishinos Blick huschte nach links und rechts; dann trat er nahe an Sano heran. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr das Missfallen von Kammerherrn Yanagisawa erregt habt. Wahrscheinlich … verzeiht, aber ich fürchte, Euch fehlt das diplomatische Geschick, das man beim Umgang mit ausländischen Menschen braucht. Überlasst mir die Angelegenheit, sobald wir das holländische Schiff erreicht haben. Ihr redet mit den Barbaren, und ich tue so, als würde ich übersetzen, was Ihr sagt. Auf diese Weise verliert Ihr nicht das Gesicht. Ach ja, und Ihr solltet wirklich im Schatten stehen bleiben, wo es angenehmer ist, viel angenehmer.«
»Ich stehe, wo es mir gefällt, wenn es Euch nichts ausmacht!«, erwiderte Sano mit schroffer Stimme, verärgert über Iishinos respektlose Bemerkungen. Iishino war der oberste Dolmetscher in Nagasaki; mit Sicherheit arbeitete eine Vielzahl junger Untergebener für ihn. Und neben seinem Gehalt bekam er wahrscheinlich Übersetzerhonorare sowohl von japanischen als auch von holländischen Händlern. Wie war ein so unsympathischer Mann an ein so begehrtes Amt gelangt?
»Sagt mal, Iishino«, fragte Sano, »war Euer Vater ebenfalls oberster Dolmetscher?«
»Ja, gewiss, gewiss.«
»Das hätte ich mir denken können.« Viele Ämter waren erblich, sodass es weniger auf die Fähigkeiten und den Charakter des Amtsinhabers ankam als auf seine Herkunft.
Iishinos Lächeln verblasste. »Ihr seid böse auf mich, nicht wahr? Aber ich wollte doch nur …«
»Helfen, ich weiß«, unterbrach Sano ihn zornig.
Die
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