Die Spur des Verraeters
Funkeln in Kapitän Oss’ Augen und die überhebliche Pose dieses Mannes gefielen ihm nicht. Der Kapitän war beinahe der Archetyp des holländischen Seemanns, wie die Japaner ihn sich vorstellten: ein waghalsiger, raubeiniger Abenteurer, stets darauf bedacht, jede Möglichkeit zu nutzen, den eigenen Reichtum zu mehren. Sano traute dem Mann nicht. Auf der anderen Seite wollte er keine unschuldigen Menschenleben in Gefahr bringen, mochten die Barbaren noch so bedrohlich und fremdartig erscheinen.
»Sie dürfen ihre Waffen behalten«, sagte er.
Widerwillig übersetzte Iishino diese Worte und Sanos Abschiedsgruß. Dann stiegen sie die Strickleiter hinunter zu ihrer bejammernswert kleinen und im Vergleich zum holländischen Segler kläglich bewaffneten Schaluppe. Als die Ruderer sich in die Riemen legten, lehnte Sano sich an die Wand der Kajüte. Noch immer den Gestank der Barbaren in der Nase, atmete er tief durch und schickte ein Gebet zum Himmel, nicht davon krank zu werden. Er beobachtete, wie das holländische Schiff kleiner und kleiner wurde, und dachte über die Ungeheuerlichkeit seiner Entscheidungen nach.
Dolmetscher Iishino trommelte unruhig mit den Fingern auf die Tischplatte. »Ihr wart sehr mutig da draußen, sôsakan-sama , sehr mutig. Doch zu Eurem eigenen Besten muss ich Euch sagen, dass Ihr den Barbaren gegenüber nicht entschlossen genug aufgetreten seid. Ihr hättet ihnen ihre Waffen nicht lassen dürfen, und Ihr hättet ihnen nichts geben sollen – keine Lebensmittel, gar nichts. Das könnte bei diesen Leuten einen falschen Eindruck erwecken.«
Sano wusste selbst, dass es den hässlichen Beigeschmack von Verrat besaß, was er getan hatte. Wenngleich er nicht wusste, wie er anders hätte handeln sollen, bereute er seine Entscheidungen schon jetzt. Indem er versucht hatte, den Holländern zu helfen, hatte er seine eigenen Landsleute in Gefahr gebracht, denn nun befand sich ein bewaffnetes, mit widerspenstigen Barbaren bemanntes Schiff unmittelbar vor der Küste von Nagasaki.
Um die Bedrohung eines bewaffneten Angriffs abzuwenden, musste er Direktor Jan Spaen finden – so schnell wie möglich.
4.
D
ie Villa, die Statthalter Nagai seinen Besuchern aus Edo zur Verfügung gestellt hatte, befand sich am Rande des Verwaltungsviertels, am unteren Teil eines Hügelhangs. Hirata erschien mit den Trägern und zwei Wachen, die ihn eskortiert hatten. »Lasst das Gepäck am Tor«, wies er die Träger an. »Ich bringe es selbst hinein.« Wenngleich Hirata ein ausgebildeter Polizeibeamter mit sechs Jahren Berufserfahrung war, hatte er in Nagasaki keine Aufgabe und langweilte sich schrecklich. Er wandte sich an die Wachen. »Ihr könnt jetzt gehen.«
»Tut mir Leid, Herr. Unsere Befehle lauten, bei Euch zu bleiben«, sagte einer der beiden Bewaffneten, ein hoch gewachsener, dünner Bursche, und öffnete das Tor.
Sein Kamerad – ein kleiner, untersetzter und dicklicher Mann – scheuchte die Träger mit dem Gepäck ins Innere des Hauses. Bevor Hirata den anderen folgte, ließ er kritisch den Blick über das Gebäude schweifen. Was er sah, war nicht gerade dazu angetan, die düstere Stimmung zu heben, die ihn plagte, seit Sano ihn von den Ermittlungen ausgeschlossen hatte.
Das zweistöckige Haus besaß frisch gekalkte weiße Wände in Fachwerkbauweise, ein schmuckes Strohdach und einen großen Balkon. Das Gebäude ähnelte eher der Villa eines reichen Kaufmanns als dem befestigten Haus eines Samurai und war der Albtraum eines jeden Sicherheitsmannes. Es fehlten die lang gezogenen Kasernengebäude, die als Unterkunft für die Wachmannschaft dienten und die Häuser angesehener, reicher Samurai von allen Seiten umschlossen. Eindringlinge konnten die steinerne Mauer mit Leichtigkeit überklettern – oder von den Dächern der angrenzenden Häuser in den Hof springen, die dünnen Holzgitter vor den Fenstern zerbrechen und ins Haus eindringen. Nicht einmal bewaffnete Posten an beiden Enden der Straße würden einen entschlossenen Verbrecher fern halten können. Wie sollte er, Hirata, einen Herrn beschützen, der beinahe jeden Schutz verschmähte?
In düsterer Stimmung ging er den gepflasterten Gehweg hinauf und unter einer Laube hindurch, an der sich blühende Kletterpflanzen emporrankten. Die Eingangstür wurde geöffnet, und eine Gruppe von Dienern kam heraus. »Willkommen, Herr«, riefen sie und trugen eilig das Gepäck ins Innere.
Hirata schüttelte den Kopf, als er das Haus betreten hatte, dicht gefolgt
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