Die Spur des Verraeters
holländische Sprache, sodass er sich mit den Barbaren verständigen kann«, meldete Dolmetscher Iishino sich zu Wort. »Der junge Mann hat sehr viel Talent, sehr viel Talent.« Zum ersten Mal erlebte Sano, wie Iishino vollkommen regungslos dastand. Der Schock, der ihm beim Anblick der Leiche Jan Spaens in die Glieder gefahren war, hatte sein Gesicht kreidebleich werden lassen, und ohne seine gewohnt unruhige Zappelei sah Iishino wie eine Wachsfigur aus. Trotzdem brachte er ein schwaches Lächeln zustande. »Sag etwas auf Holländisch, Kiyoshi.«
»Jetzt doch nicht, Iishino!«, ermahnte Nagai den Dolmetscher unwirsch, während yoriki Ota herablassend das Gesicht verzog. Es war offensichtlich, dass weder der Statthalter noch Ota den Dolmetscher mochten. Kiyoshi errötete. Ohira blickte Iishino finster an, als gäbe er dem Dolmetscher die Schuld daran, die unerwünschte Aufmerksamkeit auf seinen Sohn gelenkt zu haben. Auch Statthalter Nagai und yoriki Ota bedachte Ohira mit finsteren Blicken, wenngleich aus anderen, unerfindlichen Gründen. Sano bemerkte, dass zwischen diesen Männern eine Art Bündnis bestand, dessen Beschaffenheit er allerdings nicht ergründen konnte. Doch es war offensichtlich, dass Nagai, Iishino und Kommandant Ohira irgendetwas teilten, das über ein bloßes Interesse an der Zukunft Kiyoshis hinausging. Was dieses gemeinsame Etwas auch sein mochte – es verband die Männer trotz ihrer gegenseitigen Abneigungen und Feindseligkeiten. Sano erinnerte sich an seine Ankunft in der Villa des Statthalters und an das Gespräch zwischen Nagai und Ohira, das er ungewollt mitgehört hatte. Nicht zum ersten Mal hatte er den Eindruck, verborgene Spannungen zwischen Nagasakis hohen Beamten zu spüren – einen Unterstrom der Verschwörung und des geheimen und verbotenen Wissens, der Angst und der Uneinigkeit. Hatte das mit Direktor Spaens Verschwinden zu tun – und mit seiner Ermordung?
»Der Mörder Jan Spaens muss gefasst und bestraft werden«, sagte yoriki Ota. »Die Gesetze, die bei einem Mord anzuwenden sind, haben auch dann Gültigkeit, wenn das Opfer Ausländer ist.« Widerwillig fügte er hinzu: »Deshalb schlage ich vor, dass ich die Ermittlungen unverzüglich aufnehme.«
Doch er machte keine Anstalten zu gehen. Alle schauten Sano an. Und warteten. In der gespannten Stille hörte Sano das Flüstern des Windes und das Kreischen der Meeresvögel, den Lärm der Menschenmenge und das Rauschen der Wellen – und schließlich seine eigene Stimme, die genau jene Worte sagte, welche die Anwesenden hören wollten.
»Der Mord hat mit dem Verschwinden Direktor Spaens zu tun. Deshalb trage ich die Verantwortung, dass der Mörder gefasst und seiner gerechten Bestrafung zugeführt wird.«
Ein Hochgefühl durchströmte Sano. Hier war sie wieder – die Gelegenheit, nach der Wahrheit zu suchen und ein Unrecht zu sühnen. Diesmal aber stand viel mehr auf dem Spiel als bei der Suche nach dem vermissten Barbaren. Sano schaute die anderen an. Er hoffte und befürchtete zugleich, jemand könnte ihm das Recht streitig machen, die Ermittlungen aufzunehmen.
Doch niemand erhob Einwände. Yoriki Ota nickte bloß, und Statthalter Nagai sagte: »Wie Ihr wünscht.« Doch hinter Nagais ausdrucksloser Miene erkannte Sano die Erleichterung des Mannes. Und Hirata strahlte übers ganze Gesicht; er war sicher, dass Sano seine Hilfe diesmal nicht ausschlagen würde. Doch so schwer es Sano auch fiel, seinen Gefolgsmann erneut enttäuschen zu müssen – es war wichtiger als je zuvor, Hirata vor Gefahren zu schützen und sich selbst vor Kummer zu bewahren, falls dem jungen Gefolgsmann etwas zustieß.
Ohira blickte sorgenvoll auf seinen Sohn Kiyoshi, der zu Boden starrte. Sein Gesicht war bleich, seine Lippen zitterten, und sein Adamsapfel bewegte sich heftig auf und ab; der junge Bursche schien sich jeden Moment übergeben zu müssen. Dolmetscher Iishino sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein, als er die Leiche betrachtete.
»Direktor Spaen muss von einem seiner Landsleute ermordet worden sein«, sagte er dann. »Denn wer außer einem anderen Barbaren hätte ihn so sehr hassen können, dass er ihn gefesselt, geschlagen, ihm die Brust zerfleischt und ihn mit einem Messer zerschnitten hätte? Und wer außer einem Holländer christlichen Glaubens hätte das Kruzifix bei dem Toten zurückgelassen?«
»Ja. Ganz recht.« Statthalter Nagai wandte sich an Sano. »Was für ein Glück für Euch, dass ein Holländer der Mörder sein
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