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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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muss. Wäre der Täter Japaner gewesen, hätten die Barbaren den Mord als militärische Aggression auslegen und Gleiches mit Gleichem vergelten können.«
    Alle schauten aufs Meer hinaus. Sano stellte sich den gewaltigen holländischen Segler vor, der dort draußen vor Anker lag, und Furcht stieg in ihm auf.
    »Und es könnte nicht bloß den nationalen Frieden gefährden, wenn ein japanischer Bürger der Täter wäre. Es hätte noch andere, sehr unerfreuliche Folgen«, fügte Nagai hinzu.
    Zwei weitere Beamte kamen mit einer Trage, die mit einem weißen Tuch bedeckt war. »Bringt die Leiche nach Deshima«, befahl Statthalter Nagai den beiden Männern. An Sano gewandt, sagte er: »Es ist den Barbaren gesetzlich untersagt, an ihren Verstorbenen die christlichen Riten zu vollziehen. Sie dürfen lediglich eine Totenwache halten und die Leiche für das Begräbnis vorbereiten.«
    Die Beamten legten Direktor Spaens starren Körper auf die Trage, bedeckten ihn mit dem Tuch und trugen ihn in Richtung Deshima davon. »Geht nach Hause! Hier gibt es nichts mehr zu sehen!«, riefen sie den Stadtbewohnern zu. Sano war froh, dass das ›Beweisstück‹ erst einmal in Sicherheit gebracht wurde, wenngleich er nicht genau wusste, was er damit anfangen sollte. Wie sehr er Dr. Itos medizinische Kenntnisse und Ratschläge herbeisehnte! Denn die beiläufigen Bemerkungen von Statthalter Nagai hatten ihm die gefährliche Lage vor Augen geführt, in die er geraten konnte.
    »Kommandant Ohira«, sagte Sano. »Teilt den Barbaren auf Deshima getrennte Zimmer zu.« Sano schloss zwar die Möglichkeit nicht aus, dass Spaen den Tod durch die Hand eines Japaners gefunden hatte, aber die Holländer waren die logischen Verdächtigen. »Sorgt dafür, dass sie Spaens Leiche nicht zu sehen bekommen. Am besten sagt Ihr ihnen gar nicht, dass er tot ist. Ich werde bald mit den Holländern reden – mit Dolmetscher Iishinos Hilfe.«
    Ohira nickte geistesabwesend, den Blick immer noch auf seinen Sohn Kiyoshi gerichtet.
    Dann wandte Sano sich an einen Schreiber, der zu den Männern der Hafenpatrouille gehörte. »Ich möchte, dass Ihr dem Kapitän und der Besatzung des holländischen Schiffes eine Botschaft überbringt. Schreibt auf: ›Zu meinem Bedauern muss ich Euch mitteilen, dass Euer vermisster Landsmann ermordet aufgefunden wurde.‹« Er fügte eine Beschreibung der schrecklichen Wunden Direktor Spaens hinzu; dann fuhr er fort: »Ich, sôsakan Sano Ichirō, bin für die Ermittlungen zuständig. Solange ich nicht herausgefunden habe, wer Direktor Spaen ermordet hat und aus welchem Grund, müssen wir davon ausgehen, dass der Mörder eine Gefahr für sämtliche Holländer darstellt. Deshalb muss das Anlegeverbot für Euer Schiff so lange aufrechterhalten werden, bis der Mörder gefasst und bestraft worden ist. Mit der Bitte um Verständnis – sôsakan Sano Ichirō.«
    Sano wusste, dass er den holländischen Kapitän und dessen Mannschaft verärgerte, doch ihm blieb keine andere Wahl: Kamen Hunderte weitere Barbaren nach Deshima, würde dies seine Arbeit erheblich erschweren; möglicherweise wurden Beweismittel vernichtet, oder es kam sogar zu Unruhen. Am liebsten wäre Sano selbst zu Kapitän Oss hinausgefahren, hätte die Anweisungen persönlich überbracht und versucht, den Kapitän zu beschwichtigen, aber er durfte keine Zeit für eine neuerliche Fahrt zum holländischen Segelschiff verschwenden, sondern musste sich auf die Suche nach dem Mörder von Jan Spaen konzentrieren.
    Die Soldaten nahmen ihre Patrouillengänge wieder auf. Statthalter Nagai, Kiyoshi und yoriki Ota verabschiedeten sich von Sano und machten sich auf den Weg in die Stadt. Begleitet von Hirata und den beiden Wachsoldaten, schlenderte Sano über den Strand in Richtung Deshima, während Kommandant Ohira und Dolmetscher Iishino ein Stück vorausgingen. Der Wind war kälter geworden, und das Brüllen des Meeres erschien wie ein unheilverkündendes Vorzeichen, als Sano über das Dilemma nachgrübelte, das seine Nachforschungen zu einem gefährlichen Unterfangen gemacht hatte.
    Umsicht und Diplomatie verlangten von ihm, die Schuld an dem Mord einem Barbaren zu geben. Denn tat er es nicht und präsentierte den Holländern einen japanischen Täter, ging er das Risiko ein, Japan in einen Krieg mit den Barbaren zu verstricken. Andererseits bestand die Gefahr, dass er und Hirata des Verrats angeklagt wurden, wenn die Ausländer ungeschoren davonkamen und er, Sano, dafür sorgte, dass ein

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