Die Spur des Verraeters
schwarzblau schimmernd, hatte Pfingstrose es sich unordentlich hochgesteckt.
Hastig nahm sie einen tönernen Teetopf und schenkte der ersten Kurtisane nach, die ihre Schale wortlos in die Höhe hielt; dann eilte sie zur nächsten Frau und zog ihr die Nadeln aus dem Haar. Pfingstroses Bewegungen waren ruckartig und unbeholfen. Wieder rief die badende Kurtisane, und Pfingstrose eilte zu ihr und goss einen Eimer heißes Wasser in die Wanne. Dann kauerte sie sich nieder und machte sich daran, der vierten Kurtisane den Rücken zu massieren. Kaum hatte sie damit begonnen, riefen die anderen Frauen schon wieder nach ihr, sodass Pfingstrose aufsprang und zu ihnen eilte, um ihre Wünsche zu erfüllen. Ihre wulstigen Lippen bebten, und Tränen liefen ihr über die dicken Wangen. Pfingstrose tat Sano Leid, und beinahe hasste er sich dafür, dieser Frau noch mehr Kummer und Sorgen bereiten zu müssen, als sie ohnehin schon hatte.
»Was tut Ihr hier?«, fragte eine laute Stimme mit scharfem Unterton. »Freier haben hier keinen Zutritt.«
Die Frauen kreischten, als sie Sano erblickten. Pfingstrose ließ den Teetopf fallen, der klirrend in tausend Stücke zersprang. Sano drehte sich um und sah sich einem finsteren Mann gegenüber, der den boshaften, kampflustigen Blick eines geschnitzten Tempelhundes besaß. Der Fremde trug teure seidene Kleidung. Zuerst beschimpfte er Pfingstrose, dass sie den Teetopf hatte fallen lassen; dann fuhr er den Diener an: »Wie konntest du diesen Mann hier hereinführen!«
»Ich bin Sano Ichirō, der sôsakan des Shogun«, erklärte Sano. »Ich bin gekommen, um Pfingstrose über die letzte Nacht zu befragen, die sie in Deshima verbracht hat. – Seid Ihr der Besitzer dieses Hauses?«
»Ja. Minami Hideo, zu Euren Diensten.« Von einem Moment zum anderen wurde der Mann höflich, ja unterwürfig. »Aber Pfingstrose wurde bereits von Kommandant Ohira vernommen, Herr. Sie weiß nichts; deshalb lohnt die Mühe nicht, dass Ihr sie noch einmal vernehmt, Herr. Meint Ihr nicht auch?« Er bedachte Pfingstrose mit einem vernichtenden Blick. Sie nickte stumm, zog den Kopf zwischen die Schultern und rang die großen Hände.
»Gibt es hier ein Zimmer, in dem ich unter vier Augen mit Pfingstrose sprechen kann?«, fragte Sano.
»Gewiss. Aber Ihr verschwendet bloß Eure Zeit, Herr.« Minami zuckte die Achseln, setzte sich in Bewegung und durchquerte den Garten. Pfingstrose folgte ihm mit schlurfenden Schritten und in demütiger, ängstlicher Haltung. Plötzlich blieb Minami stehen und starrte auf ihren Busen. »Was hast du da unter dem Kimono?« Ohne die Antwort abzuwarten, streckte er die Hand aus, schob sie grob unter Pfingstroses Kimono und zog einen seidenen Fächer hervor.
»Der gehört mir!«, kreischte die badende Kurtisane. »Ich habe schon überall danach gesucht!«
Die anderen Frauen beobachteten neugierig, was geschah. Die Nackte in der Wanne setzte sich auf, ohne sich die Mühe zu machen, ihre bloßen Brüste zu bedecken.
Minami schlug Pfingstrose ins Gesicht. Sie krümmte sich und jammerte. »Hast du schon wieder gestohlen! Deshalb hat man dich hierher gebracht, oder hast du das vergessen? Na, es gibt da einen Kaufmann in der arabischen Handelsstation, dem es höchsten Genuss bereitet, Frauen zu quälen. Ich werde dich an diesen Mann verkaufen. Das wird dich lehren, wie man sich zu benehmen hat!«
Er packte Pfingstroses Arm und zerrte sie durch den Garten. Wenngleich Sano diese brutale Behandlung anwiderte, schritt er nicht ein. Prostituierte besaßen keinerlei Rechte; deshalb durften die Bordellbesitzer mit ihnen tun und lassen, was sie wollten. Sano folgte Minami und Pfingstrose zu einer Veranda auf der gegenüberliegenden Seite des Gartens; von dort aus führte Minami sie in ein leeres Gästezimmer, das mit einem niedrigen Tisch und einem Schrank spärlich möbliert war. Durch das Gitterfenster, das zu einer belebten Seitenstraße lag, fiel Sonnenlicht ins Innere. Der Bordellbesitzer stieß Pfingstrose grob zu Boden, schloss die Tür und ging. Sano atmete erleichtert auf. Er war froh, die anderen, hübschen Kurtisanen nicht mehr zu sehen, denn ihre Schönheit hatte ein heftiges sexuelles Verlangen nach Aoi in ihm entfacht. Seit Aoi aus Sanos Leben verschwunden war, hatte er keine andere Frau mehr gehabt; auf irgendeine Weise hielt dieses enthaltsame Leben die Erinnerung an Aoi wach. Doch solche persönlichen Dinge hatten bei den Ermittlungen in einem Mordfall nichts zu suchen. Sano richtete den
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