Die Spur des Verraeters
eine Gruppe Samurai, die über die Straße schlenderten, den Frauen verächtlich zu. »Dann sorgt mal schön dafür, dass die Seeleute in den ausländischen Niederlassungen heute Nacht ihren Spaß haben!«
Die Kurtisanen verhüllten ihre Gesichter und weinten vor Scham. Ausländern zu Diensten zu sein war eine verachtenswerte Aufgabe, die nur von den hässlichsten Prostituierten übernommen wurde, von denen die japanischen Männer nichts wissen wollten. Als Sano an die übel riechenden Ausdünstungen der Barbaren dachte, an ihre behaarten Körper und ihre ungeschliffenen Manieren, taten die Frauen ihm Leid. Viele waren von armen, kinderreichen Familien in die Prostitution verkauft worden, ober man hatte sie irgendeines belanglosen Vergehens wegen dazu verurteilt, als Kurtisane im Vergnügungsviertel zu arbeiten. Gezwungen zu werden, Ausländern ihre Liebesdienste anzubieten, machte die Schande dieser Frauen noch schlimmer.
Ein Stück die Straße hinunter erkannte Sano plötzlich eine vertraute Gestalt. Erschreckt rief er: »Hirata!«
Der junge Gefolgsmann wurde bleich, als er Sano sah. Er fuhr herum und stürmte in eine Seitengasse. Offensichtlich war er nicht der Frauen oder des Reisweins wegen ins Vergnügungsviertel gekommen, sondern um irgendeinem Hinweis nachzugehen, den er von der Wachmannschaft Deshimas bekommen hatte.
»Jetzt reicht’s«, murmelte Sano wütend. »Sobald ich dich das nächste Mal sehe, schicke ich dich zurück nach Edo! Wenn nicht heute, dann morgen.«
Bald darauf fand er den Goldenen Halbmond, ein kleines Bordell unweit der Nordmauer des Vergnügungsviertels. Sano schwang sich vom Pferd, reichte einem Stalljungen die Zügel und stellte sich dem Türwächter vor.
»Ich möchte mit der Kurtisane Pfingstrose sprechen«, sagte er.
Der Türwächter blickte erstaunt. »Aber, Herr, wir haben viel hübschere Kurtisanen. Gewiss hat man Euch etwas Falsches …«
»Vielleicht mag er hässliche Frauen«, rief eine Kurtisane, die hinter einem der vergitterten Fenster saß und den Passanten ihre Dienste anbot. Ihre Gefährtinnen kicherten.
Sano hatte keine Zeit, auf Scherze einzugehen oder sich auf Streitgespräche einzulassen. »Bringt mich zu Pfingstrose«, sagte er zu dem Türwächter. »Sofort.«
In der Eingangshalle des Bordells, in dem ein Bediensteter Aufsicht führte, saßen zwei Kurtisanen und plauderten mit ihren Freiern. Aber noch war es ruhig im Haus; die Geschäfte liefen erst nach Sonnenuntergang richtig an. Ein Diener führte Sano auf einen Innenhof. Blumenbeete und verkrüppelte Fichten umgaben einen winzigen Teich, und schrille Frauenstimmen erklangen wie misstönender Vogelgesang.
»Pfingstrose, schenk mir Tee nach.« – »Steck mir das Haar fest, Pfingstrose.« – »Das Bad ist zu heiß, Pfingstrose. Gieß kaltes Wasser nach.« – »Pfingstrose, komm her, und massiere mir den Rücken.«
Drei Frauen saßen in bunten Morgenröcken auf einer Veranda. Eine hielt eine Schale Tee, während sie sich mit der freien Hand die Zehennägel feilte. Die zweite blickte mit finsterer Miene in einen Handspiegel und zupfte an ihrem hochgesteckten Haar. Die dritte zog ihren Umhang aus und ließ sich vornüber auf eine Liege fallen. Durch die offene Tür hinter den drei Frauen konnte Sano eine vierte Kurtisane sehen, deren Kopf aus einer hölzernen Badewanne ragte. Die Frauen schnatterten und kicherten, wobei sie ihr Gespräch nur unterbrachen, um ihre Befehle zu wiederholen.
»Wo bleibt mein Tee, Pfingstrose!« – »Was ist mit meinem Haar!« – »Wo bleibt das Wasser?« – »Du sollst mir den Rücken massieren, Pfingstrose!«
Hastig eilte eine dicke, unförmige Frau von einer Kurtisane zur anderen: Pfingstrose – die Zeugin, die Sano vernehmen wollte. Als er sich der Veranda näherte, erkannte Sano, dass die anderen Kurtisanen Schönheiten waren, die zweifellos zur ersten Garnitur im Goldenen Halbmond zählten. Pfingstrose jedoch war eine der hässlichsten Frauen, die Sano je gesehen hatte.
Wenngleich sie kaum mehr als zwanzig Jahre zählen konnte, war sie plump und fett wie eine Matrone mittleren Alters. Der Rocksaum ihres schlichten blauen Baumwollkimonos war hochgerollt, damit sie sich besser bewegen konnte; ihre dicken, nackten Beine waren krumm und ihr Gesicht so flach, dass es beinahe deformiert wirkte. Die Haut war schlaff, die Augen schmal, die Nase breit, und der Mund mit den dicken Lippen stand offen. Das einzige schöne äußere Attribut war ihr Haar – dick und voll und
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