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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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zog ihren Kimono an und senkte den Kopf, dass ihr Gesicht hinter einem Vorhang aus Haaren verschwand. »Die Sänftenträger brachten mich bis zum Wachhaus. Ich bin hineingegangen. Die Wachen haben mich durchsucht und meinen Namen ins Besucherbuch eingetragen. Sie lachten und sagten, ich solle froh sein, dass wenigstens der Barbar mich haben will, wenn schon kein anderer Mann …«
    »Hast du irgendetwas mit auf die Insel genommen?«
    »Nein.« Sie brach wieder in Tränen aus. »Die Polizei hat mir alles weggenommen, als ich vor ein paar Jahren verhaftet und ins Vergnügungsviertel verbannt wurde. Von dem, was ich verdiene, werden jene Leute entschädigt, die ich damals bestohlen habe. Und wenn ich das Bordell verlasse, um Barbaren zu besuchen, achtet Minami immer darauf, dass ich nichts mitnehme. Aber jetzt, wo Spaen- san tot ist, habe ich gar nichts mehr. Nichts und niemand!«
    Sano bezweifelte, dass jemand eine Pistole und ein Messer an den Wachen auf Deshima vorbeischmuggeln konnte. Doch auch wenn Pfingstroses Trauer aufrichtig zu sein schien, konnte Sano sich nicht vorstellen, dass eine Japanerin einen Barbaren liebte. Hatte derselbe Unbekannte, der bei der Beseitigung der Leiche Spaens geholfen hatte, Pfingstrose die Waffen auf Deshima zugespielt – falls sie die Mörderin war?
    »Was ist dann geschehen?«, fragte Sano.
    »Die Wachen brachten mich zur Unterkunft von Spaen- san . Ich ging hinein. Er war in seinem Zimmer. Wir …« Ein heftiges Schluchzen ließ sie kurz innehalten. »Wir haben getrunken. Dann … habe ich seine Lust befriedigt. Anschließend bin ich eingeschlafen. Dann weiß ich nur noch, dass ich von den Posten wachgerüttelt wurde. Sie fragten mich, wo Spaen- san ist.« Die letzten zwei, drei Sätze hatte sie schnell, beinahe hastig gesprochen, als wollte sie wichtige Einzelheiten vertuschen.
    »Also hast du die ganze Nacht geschlafen?«, fragte Sano. »Ohne dass du irgendetwas gehört oder gesehen hast, das im Zimmer oder draußen geschehen ist?«
    »Ja …«
    Pfingstroses Erwiderung war kaum mehr als ein Flüstern. Sano spürte die plötzliche Unsicherheit der Frau. »Hat das Unwetter dich nicht geweckt? Sieh mich an, Pfingstrose.« Er umfasste ihr Kinn, drückte ihren Kopf nach hinten und zwang sie, ihm in die Augen zu schauen. »Erzähl mir, was mit Direktor Spaen geschehen ist.«
    Pfingstroses Gesicht war vom Weinen gedunsen, und ihre Wangen waren tränennass. Doch ihre Augen blickten hellwach und verschlagen hinter den verschwollenen Lidern.
    »Ich hatte fünf Schalen Sake getrunken«, murmelte sie, »und deshalb tief und fest geschlafen. Ich habe nicht einmal das Unwetter gehört. Aber ich wünschte, der Sturm, Blitz oder Donner hätten mich geweckt. Vielleicht hätte ich Spaen- san dann retten können.«
    Sie verzog kummervoll das Gesicht und wollte sich abwenden, doch Sano packte ihre Schultern und hielt sie fest. »Direktor Spaen hat dich wie ein Tier behandelt! Du hast ihn nicht geliebt, sondern gehasst! An dem Abend hast du beschlossen, Rache zu nehmen. Du hast Spaen erschossen und seinen Leichnam verstümmelt, damit es so aussah, als wäre der Barbar erstochen worden. Aber ohne fremde Hilfe hättest du das nicht geschafft. Jemand hat dir die Waffen zugespielt, nachdem du auf der Insel eingetroffen warst, nicht wahr? Und jemand hat die Schleusentore geöffnet, damit du die Leiche ins Meer werfen konntest. Wer war dein Helfer, Pfingstrose? Einer der Wachsoldaten? Kommandant Ohira? Rede!«
    »Ihr tut mir weh«, stieß Pfingstrose hervor und wand sich in Sanos Griff. »Ich habe ihn nicht ermordet. Ich habe ihn geliebt. Und gesehen habe ich nichts. Ich weiß nicht, was geschehen ist. Ich weiß gar nichts!« Sie riss sich los, kroch von Sano fort und setzte sich an eine Wand, die Knie an den Leib gezogen, das Gesicht auf die verschränkten Arme gepresst. Sie stieß ein lautes, tiefes Stöhnen aus, wobei sie sich vor und zurück wiegte.
    Sano kauerte sich auf die Fersen. Er war enttäuscht und ratlos. Falls Pfingstrose tatsächlich unschuldig war, setzte er sie unnötigen Qualen aus. Vielleicht hatte ein Wachsoldat auf Deshima gemeinsame Sache mit deGraeff gemacht, um Spaen zu töten. Nein, es sprach zu vieles für die Schuld dieser Frau.
    »Wer hat Spaen- san das Kruzifix um den Hals gelegt?«, versuchte Sano es mit einer anderen Taktik und stellte sich drohend vor Pfingstrose auf. »Du oder dein Komplize? Und weshalb? Weil ihr Christen seid?«
    Pfingstroses Jammern und Stöhnen

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