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Die Spuren der Seele

Die Spuren der Seele

Titel: Die Spuren der Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Fasel , Ruediger Dahlke
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»Guten Tag«. Reduziert sich Letzteres auf ein einfaches »Tach« und wird der Handschlag ganz eingespart, schwingt darin weniger Achtung vor Gott und dem Gegenüber mit. Eine Berührung in friedlicher Absicht ist immer mehr als eine Gewohnheit. In ihr liegt stets die Chance zu einem kleinen Ritual des Friedens.
    Auch Begrüßungsküsse lassen sich natürlich deuten, etwa ob es einen, zwei oder gar drei braucht. Dabei sind immer auch die Hände mit im Spiel und drücken einiges aus: Wird der Geküsste dabei ergriffen oder nur sanft berührt oder fest gedrückt, in oder gar auf den Arm genommen, festgehalten oder gestützt, erhoben oder hinabgezogen?
    Legen sich beider Hände beim Handschlag ineinander, berühren die Finger des einen den Handteller des anderen und umgekehrt. So werden symbolisch Gegensätze überbrückt. Die offensiv männlichen Finger berühren die passiv weiblichen Handteller und stellen so eine Verbindung her, die tiefer geht, als viele vermuten.
    Das spielt unbewusst auch hinein, wenn Menschen Verträge abschließen oder sich die Hand darauf geben , im Sinne eines Ehrenwortes, das fast immer mit Handschlag zu besiegeln ist. Tatsächlich drückt man sich mit den Fingerspitzen die persönlichsten und individuellsten Siegel auf. Wer in einer nahen Situation eine Hand länger gereicht bekommt, könnte sie natürlich entziffern und damit wissen, wer ihm da nahe ist. Im alten China war der Daumenabdruck bereits eine frühe Form, um Wesentliches zu besiegeln.
    Begrüßen Freunde männlichen Geschlechts einander, umgreifen sie manchmal den rechten Daumen des anderen. Unbewusst nehmen sie damit freundschaftlichen Kontakt zu einem der wesentlichen männlich-marsischen Symbole des Gegenübers auf. Wer von den Urprinzipien weiß, mag dies etwas mehrdeutig finden. Stimmigerweise wählen Freundinnen praktisch nie dieses Begrüßungssymbol.
    Die geballte Faust als Symbol des Kampfes hat den Daumen immer außen wie beim sportlichen Boxen. Dieses Symbol vieler Revolutionen und auch etwa der internationalen Arbeiterklasse in ihrem Kampf um gerechteren Lohn und fairere Lebensbedingungen war so lange gerechtfertigt, wie die andere Seite massiven Widerstand leistete. Als die Kapitalisten allmählich nachgaben, weil die Arbeiterklasse durch ihr solidarisches Vorgehen einerseits an Kraft gewann und Erstere andererseits den Wert einer sich entwickelnden Mittelschicht zur Stabilisierung der Gesellschaft erkannten und deren zunehmende Kaufkraft als förderlich für ihre Geschäfte begriffen, wurde das kämpferische Symbol immer unpassender. Die geschlossene Faust, die nicht zeigt, was sie enthält und gleichsam im Schilde führt, wird überall auf der Welt als bedrohlich erkannt. Als Drohgebärde hat sie im Klassenkampf heute ausgedient. Als die Arbeiter sich vollends in der Gesellschaft integrierten und mit dem System, das ihnen auch ein wenig vom Kuchen abgab, aussöhnten, verzichteten sie auf diese Zurschaustellung von Aggression, und die Faust verschwand aus dem symbolischen Repertoire. Heute dient sie in der Politik lediglich noch dazu, manchmal auf den Tisch zu hauen . Diese Entwicklung wurde durch die Arbeitervertreter noch beschleunigt, die rasch lernten, bei den Feinden von gestern die geballte Faust zu öffnen im Sinne von die Hand aufhalten . Die ehemalige Gegenseite legte dann Beschwichtigendes und Abwiegelndes hinein. Eine Hand wäscht die andere , weiß der Volksmund. Wahrscheinlich handelt es sich nicht einmal um konkrete Waschrituale, es reicht schon, sich in denselben Luxushotels gemeinsam die Hände vor dem Essen in Unschuld zu waschen. Und nach dem großen Geschäft dann wieder. Typischerweise ahnen wir, wie sehr wir uns bei großen Geschäften auf dieser und jener Ebene beschmutzen, und legen deshalb so gesteigerten Wert auf rituelles Waschen. Zum großen Geschäft zieht man sich immer in die Anonymität des Ab-Ortes zurück, da darf niemand zuschauen, aber das Händewaschen ist dann wieder ein verbindendes und verbindliches Gemeinschaftsritual.
    Im Osten werden beide Händen sehr unterschieden: Die linke unreine wickelt die konkreten großen Geschäfte im unteren Körperbereich ab, während die rechte solche auf der übertragenen Ebene mit einem Handschlag besiegelt. Im Westen wird der Schmutz der Ebenen dagegen bedenkenlos – weil diesbezüglich unwissend – vermischt.
    Immerhin waschen auch wir uns vor dem Essen fast immer die Hände. Das ist mehr als ein Relikt früher Zeiten, als sie von Hand-

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