Die Staatsanwältin - Thriller
viel.«
Ich wusste nicht recht, wo das hinführen sollte, also wusste ich nicht,ob ich ihm danken oder protestieren sollte. Aber ich konnte an seinem Gesicht ablesen, dass er seine Entscheidung getroffen hatte. Das hatte ich an meinem Chef immer bewundert. Ich grübelte endlos über Dinge, analysierte erst eine Seite, dann die andere. Masterson dagegen hörte sich zwei, drei Minuten einer Erklärung an, kam zum Punkt und traf eine Entscheidung.
»Nur damit Sie es wissen: Ich werde einen Deal mit Rivera machen. Sie besorgen mir seine Aussage auf Video und prüfen nochmals, ob es auch sicher kein Leck gab, was das Morphin angeht. Die nächste Grand Jury tritt am Montag zusammen. Ich habe einen Wahlkampf zu führen und eine Behörde im kontrollierten Chaos. Meinen Sie, Sie kriegen die Jury dazu, die Anklage gegen Tate zuzulassen?«
Ich richtete mich auf. Wir wussten beide, dass man in Milton County die Grand Jury sogar dazu bekam, den Weihnachtsmann wegen Hausfriedensbruch anzuklagen. Die Verteidigung durfte den Raum der Jury nicht einmal betreten. Eigentlich hätten wir Tate auch ohne Riveras Aussage anklagen können. Aber man tritt nicht vor die Grand Jury, wenn man nicht vollkommen sicher ist.
Trotz meiner Freude über die bevorstehende Anklage gegen Tate wollte eine leise Stimme in mir protestieren. Wenn ich genug Theater machte, würde Masterson es sich vielleicht noch einmal anders überlegen und keinen Deal mit Rivera machen. Was, wenn Rivera jemanden umbrachte, während er eigentlich hinter Gittern sein sollte?
Aber ich hielt den Mund. Ich wollte Caleb Tate so dringend festnageln, dass ich den Triumph deutlich vor mir sah. Und ich sagte mir, dass ich ja nicht diejenige war, die den Deal mit Rivera machen würde. Mein Vorgesetzter hatte mir die Entscheidung aus den Händen genommen.
»Ich dachte schon, Sie fragen nie«, sagte ich.
»Gut. Wir halten eine Pressekonferenz ab, sobald wir die Anklage haben. Sagen Sie Ihrem Freund L. A., er soll die Verhaftung für die Presse inszenieren. Sorgen Sie dafür, dass jeder Sender in Atlanta sie überträgt.«
Es war eindeutig â Masterson machte das SpaÃ. Er würde einen guten Generalstaatsanwalt abgeben. Er mochte nichts lieber als einen groÃen Kampf mit jemandem, den er für wirklich böse hielt.
»Ich wünschte, Ihr Vater könnte das sehen«, sagte er.
Er musste meine Gedanken gelesen haben. Und das war das andere, das ich an Masterson schätzte: Er wirkte groà und schroff und gleichgültig. Aber Bemerkungen wie diese zeigten seine wahre Natur. Und was das anging, erinnerte er mich an meinen Dad.
»Ich auch«, erwiderte ich.
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30
Ich hatte fünf Tage Zeit, um mich auf den Auftritt vor der Grand Jury vorzubereiten. Ich musste die Trauer über den Tod meines Vaters beiseiteschieben und mich auf den Fall Tate stürzen. Tagsüber arbeitete ich mit meinen Zeugen. Die Abende verbrachte ich in meiner Kommandozentrale zu Hause, wo sich die Dokumente und Beweisstücke stapelten und irgendwann in die Küche und schlieÃlich auch ins Wohnzimmer überquollen. Justice bettelte mich an, mit ihm Frisbee spielen zu gehen, aber ich lieà ihn einfach allein in den umzäunten Garten. Das morgendliche Training lieà ich ausfallen. Ich blieb wach bis nachts um zwei oder drei, trank Kaffee und bereitete meinen Fall vor.
In den unpassendsten Momenten brach ich zusammen und weinte, wenn mein Verlust mir das Herz zerriss. Ich konnte diese Momente nicht planen; sie schlichen sich immer an â unerwartet, ausgelöst von irgendeiner Kleinigkeit, die mich an meinen Dad erinnerte.
Am Freitagabend zog ein Gewitter auf. Der Wind heulte und bog die groÃen Kiefern im Garten hin und her. Als kleines Mädchen hatte ich immer Angst gehabt, die Bäume könnten abbrechen und auf unser Haus fallen, aber mein Vater hatte eine Lehrstunde daraus gemacht: »Diese Bäume wissen, wie sie sich mit dem Wind biegen müssen, Jamie. Du musst dir keine Sorgen um sie machen. Eichen wissen nicht, wie man sich biegt â ihretwegen solltest du dir Sorgen machen.«
Jetzt tanzten die Kiefern im Sturm und warfen lange Schatten durch die Panoramafenster ins Wohnzimmer. Ich konnte im Heulen des Windes beinahe die Stimme meines Vaters hören.
Am Tag der Anhörung fuhr ich mit dem Chrysler meines Vaters zum Gericht. Niemand hatte den Wagen
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