Die Staatsanwältin - Thriller
gegeneinander ausspielte.
»Guten Morgen«, sagte Chris. »Wann fahren wir los?« Er trug immer noch eine Pyjamahose und ein T-Shirt. Seine blonden Haare standen in alle Richtungen ab.
»Ich dachte, ich gehe vorher noch eine Weile arbeiten«, sagte ich. »Wir müssen hier ungefähr um drei los.«
Wir aßen ein paar Minuten schweigend, während ich noch ein paar Webseiten checkte und dann meinen Computer herunterfuhr. »Danke, dass du das machst, Chris«, sagte ich leise.
»Ich freue mich nicht darauf«, antwortete er.
»Ich auch nicht.«
Er aß weiter, auf sein Müsli konzentriert, während ich meine Aktentasche packte. Uns gingen beiden tausend Dinge durch den Kopf, doch uns fehlten die Worte, sie auszudrücken. Wir hatten stundenlang über diesenMoment gesprochen, aber jetzt, wo er gekommen war, schien das Einzige zu sein, stoisch weiterzumachen und anzunehmen, was das Leben uns vorsetzte.
»Gibt es irgendeine Möglichkeit, dass er noch einen Aufschub bekommt?«, fragte Chris. Er nahm einen Schluck Milch. Ich hatte nicht gedacht, dass er an diesem Morgen so ruhig sein würde und einfach sein Frühstück verschlingen würde wie an jedem anderen Tag auch. Mein Magen war jetzt schon in Aufruhr.
Ich zuckte die Achseln. »Sieht nicht so aus. Aber wer weiß? Wir müssen auf alles vorbereitet sein.«
Chris sah mich an, und ich sah die Besorgnis in seinen Augen. Ich hatte sein Schweigen als Nonchalance missdeutet. Aber in diesem Moment wurde mir klar, dass es etwas anderes war – Ungewissheit, Nervosität, sogar Angst. Mein Bruder war älter als ich, der Pastor in der Familie. Aber ich würde die Standhafte sein müssen. Mir wurde klar, dass er sich diesem Tag nicht stellen wollte; er wollte kein schweigender Komplize bei einer staatlich sanktionierten Tötung sein. Solche Bedenken hatte ich nicht.
»Ich will nur, dass es vorbeigeht«, sagte Chris.
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9
Mace James raste von Nashville nach Atlanta, und sein Handy stand die ganze Fahrt über nicht still. Während er fuhr, arbeiteten neun Anwälte bei Knight & Joyner an Anträgen in letzter Minute. In den weniger hektischen Wochen und Monaten bis zu diesem Tag hatte Mace die Führung übernommen. Er hatte vor dem Berufungsgericht von Georgia verhandelt und vor dem Bundesberufungsgericht. Er hatte persönlich die meisten Schriftsätze verfasst und nach letzten Zählungen sechzehn Anträge für Haftprüfungstermine eingereicht. Aber jetzt, am letzten Tag, überließ er der großen Firma die Einzelheiten. Sein Job bestand aus zweierlei: die Presse auf dem Laufenden zu halten und, wenn alles andere nichts nützte, für Antoine da zu sein.
Sie hatten nur noch drei Chancen übrig – alle wenig vielversprechend. Sie hatten gerade eine Bitte um Haftprüfung beim obersten Bundesgericht eingereicht, mit der Begründung, dass Thiopental knapp war und den Bedenken über den Ursprung der Lieferung für Georgia. Mace war der Meinung, er hätte bessere Chancen, Papst zu werden, als diese Eingabe zu gewinnen. Sie hatten außerdem ein Gnadengesuch beim Begnadigungsausschuss von Georgia eingereicht. Die Aussicht dort war düster, aber nicht vollkommen hoffnungslos. Der Ausschuss hatte seit 1976 in sieben Fällen Gnade walten lassen, unter anderem in einem Fall im Jahr 1990, als die Todesstrafe des Häftlings umgewandelt wurde, mit der Begründung einer vorbildlichen Gefängnisakte, erwiesener Reue, einer religiösen Bekehrung und Gnadengesuchen der Familie des Opfers. Antoine hatte zwei von vier – eine gute Gefängnisakte und eine Bekehrung. Mace bezweifelte, dass das genügte. Viele Häftlinge behaupteten, dramatische Gefängnisbekehrungen erlebt zu haben. Mace war einer aus einer kleinen Schar Auserwählter, der die Sache auch nach seiner Entlassung durchgezogen hatte.
Damit blieb der Antrag auf Haftprüfung vor dem Berufungsgericht von Georgia. Noch eine verzweifelte letzte Maßnahme, aber immerhin die beste in einem mageren Haufen. Mace hatte Freddie Cooper umgedreht, damit blieb der Staatsanwaltschaft nur der Augenzeugenbericht von Robert Brock ohne unterstützendes DNA-Material oder andere wissenschaftliche Beweise. Und Brocks Aussage war im Kreuzverhör weitgehend diskreditiert worden.
Trotz des Regens jagte Mace den Tachometer auf über neunzig Meilen die Stunde, während er die I-75 im Norden Georgias entlangraste. Er hielt die Geschwindigkeit, bis sein Truck anfing zu zittern, und ging dann nur ein kleines bisschen vom Gas. Ein paar Mal
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