Die Staatsanwältin - Thriller
wenn das alles publik wurde? Würde Antoine Marshall einen neuen Prozess bekommen? Und falls ja, wie konnten wir jetzt eine Verurteilung bekommen, wo mein Vater, der einzige Augenzeuge des Verbrechens, tot war?
Diese Fragen nagten an mir, während Richter Pipes, ein Ersatzrichter, der aus der Rente geholt worden war, um in der Deal-Krise auszuhelfen, die Nachmittagsanhörung eröffnete. Ich hatte ungefähr fünfzehn Fallakten vor mir auf dem Tisch gestapelt. Es waren alles Bewährungsverstöße und Kautionsaufhebungen – die Art von Dingen, die das Gericht normalerweise mit äußerster Effizienz abwickelte.
Angeklagte, die gegen ihre Bewährungsauflagen verstoßen hatten, kamen herein und baten den Richter um eine weitere Chance. Ich drückte die Enttäuschung der Staatsanwaltschaft über Verurteilte aus, die eine zweite Chance bekommen hatten und nun dem Gericht eine lange Nase machten. Die Richter verhängten normalerweise die Strafe, die ich vorschlug, und legten gratis noch einen harschen Vortrag drauf.
Aber an diesem Nachmittag verhängte Richter Pipes, der während seiner aktiven Zeit einer der härteren Richter gewesen war, leichte Strafen und setzte niedrige Kautionen fest. Meine Empfehlungen für liebevolle Strenge wurden ignoriert.
Nach der Hälfte begann ich energischer zu argumentieren und nahm die Angeklagten ausführlich ins Kreuzverhör, um ihre eklatante Missachtung der Gesetze aufzuzeigen. Aber nichts davon schien Pipes zu kümmern. Am Ende des Tages wurde mir bewusst, dass sich eine neue Normalität in Milton County etabliert hatte: Statt auf die Staatsanwaltschaft zu hören, gingen die Richter gnädig mit gewaltlosen Straftätern um und machten damit Platz im Gefängnis für die schweren Verbrecher.
Um fünf kehrte ich ins Büro zurück und verglich meine Notizen mit anderen Staatsanwälten. Sie hatten dasselbe erlebt. Es war, als hätten sich die Richter zusammengetan und beschlossen, die Richtlinien für Strafzuweisungen zu ändern. Wenn sich das herumsprach, würde Milton County der Ort für Drogenbanden werden.
Wir hatten Runde eins verloren.
Ich rief sowohl Bill Masterson als auch Regina Granger an, erreichte aber nur ihre Anrufbeantworter. Ich schloss mich in meinem Büro ein, schaute nach meinen E-Mails und spielte im Internet herum. Ich versuchte, den Mut aufzubringen, unsere Datenbank auf Caleb Tates Behauptungen zu überprüfen.
Nachdem ich es eine halbe Stunde vor mir hergeschoben hatte, gab ich den Namen meines Vaters ins Feld für die Strafverteidiger ein und suchte seine Kriminalfälle in der Datenbank der Staatsanwaltschaft von Milton County. Ich begann zehn Jahre vor dem Tod meiner Mutter und sah mir jeden Fall an, den mein Vater vor Snowden und jedem anderen Richter im County verhandelt hatte. Ich machte mir Notizen und ordnete die Ergebnisse.
Als ich zwei Stunden lang mehr als dreihundert Akten überflogen hatte, rechnete ich die Ergebnisse zusammen und starrte ungläubig auf das Blatt. Mein Magen schmerzte, während die Wahrheit in mein Bewusstsein drang. Die Ergebnisse sprangen mich förmlich an, spotteten meiner Hoffnung, dass Caleb Tate die Ergebnisse meines Vaters aufgebauscht hatte.
Als Staatsanwälte gewinnen wir normalerweise ungefähr 90 Prozent unserer Fälle. Im Ganzen war mein Dad besser gewesen als die meisten Verteidiger und hatte nicht 10 Prozent, sondern fast 30 Prozent seiner Prozesse gewonnen. Aber von den vierzig Fällen in Richterin Snowdens Gerichtssaal hatte er neunundzwanzig gewonnen – mehr als 70 Prozent. Noch schlimmer: Ungefähr die Hälfte seiner Siege waren in Anhörungen zur Nichtzulassung von Beweismitteln oder anderen Anhörungen entschieden worden, in denen der Richter eine große Rolle spielte. Es war genau so, wie Caleb Tate es angedeutet hatte.
Mir war übel, als ich versuchte, mir Szenarien vorzustellen, die diese Ergebnisse erklären konnten. Vielleicht hatte mein Vater einfach verstanden, wie Richterin Snowden dachte, genauso wie ich bei einigen Dozenten bessere Noten bekommen hatte als bei anderen. Vielleicht hatte Snowden großen Respekt vor meinem Vater und gestand ihm unterbewusst einen Vertrauensbonus zu.
Okay, vielleicht hatte die Richterin also ihre Lieblinge. Machte sie das korrupt? Oder vielleicht mochte sie einfach nur die Strafverteidiger, die besser vorbereitet waren als die anderen. Nichts davon musste bedeuten, dass mein Vater oder Richterin Snowden etwas Falsches getan hatten.
Aber als gründliche Anwältin
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