Die Staatskanzlei - Kriminalroman
sollten. Sie wollte das jetzt allein zu Ende bringen, Sie war überzeugt, Maria Schneider in den nächsten Minuten ein Geständnis abzuringen.
„Schließen Sie das Fenster und drehen sich zu mir um!“ Sie hatte die Frau nicht kommen hören, ihre Stimme klang ganz anders als noch vor wenigen Sekunden, schneidend und hart. Ihre Augen flackerten nicht mehr. Die Sauer Backup starrte Verena entgegen.
„Geben Sie mir Ihre Dienstwaffe.“
Verena spürte, wie ihr Adrenalinspiegel stieg. „Ich habe keine Waffe dabei.“
„Lügen Sie mich nicht an. So blöd können Sie gar nicht sein, dass Sie unbewaffnet zu einer Mörderin gehen. Sie halten mich doch für eine Mörderin?“
Verena antwortete nicht. Jedes Wort war eines zu viel. „Also los, machen Sie endlich!“ Verena holte ihre Dienstpistole unter ihrem Anorak hervor und legte sie neben sich auf den Teppichboden.“
„Geben Sie ihr einen Schubs in meine Richtung!“, wurde sie aufgefordert.
Ohne Verena aus den Augen zu lassen, griff Maria Schneider nach der Dienstwaffe und legte sie hinter sich auf dem Fußboden ab. Verena versuchte, die auf sie gerichtete Pistole wegzudenken. Jetzt die Nerven zu verlieren, würde in einem Blutbad enden. Maria Schneider kannte keine Skrupel, das hatte sie bewiesen.
„Ich werde den Auftrag noch heute zu Ende bringen. Und Sie werden mich nicht daran hindern.“ Die Stimme der Frau klang entschlossen.
Das Geräusch der Pistole, die in diesem Moment entsichert wurde, ließ Verena zusammenzucken. Das hatte sie klasse hingekriegt. Nicht nur, dass sie den Befehl Ritters missachtet hatte, vor einer Minute hatte sie den Kollegen des MEK 1 bedeutet, draußen zu bleiben. Sie mussten davon ausgehen, dass alles in bester Ordnung war. Nicht einmal eine Schutzweste hatte sie angelegt. Wie eine blutige Anfängerin hatte sie sich benommen.
Als sie in die leeren Augen der Frau schaute, wusste sie auf einmal, was sie zu tun hatte. Es gab noch eine hauchdünne Chance für sie. Ihr war klar, dass alles vorbei war, wenn sie es verpatzte. Bitte, lieber Gott, lass mich jetzt nicht im Stich, lass mich das Richtige tun, betete sie.
80
Das in der Schulenburger Landstraße gelegene Gefängnis Hannover bot bis zu tausend Häftlingen Platz und beschäftigte fast ebenso viele Mitarbeiter, etliche davon ehrenamtlich. Die noch immer in Norddeutschland wütende Grippewelle hatte auch unter den Vollzugsbeamten des mittleren Dienstes Opfer gefordert. Da außerdem viele Bedienstete ihren Weihnachtsurlaub angetreten hatten, oblag der Aufsichtsdienst im Zellentrakt IV an diesem Spätnachmittag dem externen Mitarbeiter Marco Busch.
Marco Busch, Anfang dreißig, suchte seit drei Jahren vergeblich nach einer Anstellung in seinem Beruf als Sozialpädagoge. Um sich über Wasser zu halten, hatte er eine Zusatzqualifikation absolviert, die ihn dazu befähigte, im mittleren Vollzugsdienst zu arbeiten. Der Job war mies bezahlt, aber immer noch besser als Hartz IV.
Die meisten der dreißig Zellen, die er zusammen mit seinem Kollegen betreute, waren doppelt belegt. Nur die Zelle Nummer 123 bildete eine Ausnahme. Die Staatsanwaltschaft hatte aus Marco Busch nicht bekannten Gründen für den deutschen Staatsbürger russischer Herkunft Gregor Mahow Einzelunterbringung angeordnet. Das hieß allerdings keinesfalls, dass Mahow den ganzen Tag allein war. Er nahm an den Mahlzeiten im Speisesaal ebenso teil wie an den Sportaktivitäten und den Veranstaltungen des psychologischen und ehrenamtlichen Betreuungsdienstes. In der Vorweihnachtszeit wurden im kargen Aufenthaltsraum mehrmals wöchentlich Weihnachtsgeschichten vorgelesen und kleinere Weihnachtskonzerte von Ehrenamtlichen, darunter ehemalige Häftlinge, gegeben. Es wunderte Marco Busch, dass ausgerechnet Gregor Mahow an diesem Abend zu der Weihnachtslesestunde nicht erschien, nahm er doch Abwechslungen vom eintönigen Gefängnisalltag gerne wahr.
Das Schlimmste, was einem Vollzugsbeamten widerfahren kann, ist das Auffinden eines Häftlings, der Selbstmord begangen hat. Fast immer wird die Frage der Mitverantwortung des Aufsichtsbeamten in den Raum gestellt und es folgen langwierige, unangenehme Untersuchungen. Dass ausgerechnet Marco Busch, unter den Kollegen gleichermaßen beliebt wie unter den Gefangenen, Gregor Mahow tot in seiner Zelle vorfand, wurde später als ein unglücklicher Zufall gewertet; denn eigentlich hätte Marco Busch an diesem Tag in einem anderen Zellentrakt Dienst haben sollen. Die für die
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