Die Staatskanzlei - Kriminalroman
es Verena durch den Kopf, und das wäre nicht das Schlechteste. „Wer spricht von Alleingängen? Ich nehme zwei Beamte der MEK 1 mit. Wenn sie erst einmal den Türöffner betätigt hat …“
Ritter seufzte lautstark. „Hören Sie schon auf! Ich will das gar nicht wissen. Sie sind stur wie ein Maulesel. Wenn Sie mir versprechen, zwei Beamte mit in die Wohnung zu nehmen, fahren Sie in Gottes Namen zu ihr und versuchen Sie, die Frau in ein Gespräch zu verwickeln, damit sie zu Hause bleibt. Sobald Stollmann mit den Gerichtsbeschlüssen aufkreuzt, schicke ich ihn mit weiteren Beamten hinterher.“
Sie wandte sich der Tür zu. Auf einmal stand er hinter ihr, berührte ihren Arm. Aus seinem Gesicht las sie echte Besorgnis. „Passen Sie um Gottes Willen auf sich auf. Ich möchte Sie nicht verlieren.“
„Ich möchte Sie nicht verlieren.“ Das war der beste Satz, den Verena seit Wochen, nein, seit Monaten gehört hatte. Beschwingt eilte sie in ihr Büro, um ihre Dienstwaffe zu holen.
79
Wegen der Nähe zu den Gerichten war die Gellertstraße bei Anwälten beliebt. Jetzt, in den frühen Abendstunden am Tage vor Heiligabend, waren die meisten Büros verwaist und dunkel. Obwohl direkt vor dem Haus Nummer 21 ein Parkplatz frei war, stellte Verena ihr Auto in einiger Entfernung ab. Verenas Vorhaben, zunächst allein mit Frau Schneider zu sprechen, stieß bei ihren Kollegen auf Bedenken. Sie wollten sie in die Wohnung begleiten. Es bedurfte einiger Überredungskunst, bis Verena einen Vorsprung von zehn Minuten durchgesetzt hatte. Sie wollte allein mit der Frau sprechen und nicht mit Beamten im Schlepptau bei ihr aufkreuzen.
Maria Schneider hatte ein schönes Zuhause. Die Stadtvilla aus den Anfängen des vorigen Jahrhunderts mit Erkern und Stuckverzierungen war frisch gestrichen, die grün lackierten Fensterrahmen passten gut dazu. Der Vorgarten war mit Winterheide und kleinwüchsigen Wacholderbüschen bepflanzt, in der Mitte ein mit einer Lichterkette und roten Plastikkugeln dekorierter Tannenbaum. Das wohltuende Ambiente, das von Haus und Garten ausging, ließ nicht vermuten, dass ausgerechnet hier eine geistesgestörte Doppelmörderin wohnte. Hinter den zugezogenen Vorhängen in der zweiten Etage war Licht zu sehen. Maria Schneider war zu Hause. Wagner war demnach in Sicherheit. Bevor sie den Klingelknopf betätigte, vergewisserte sich Verena noch einmal, dass ihre Dienstwaffe geladen war.
„Was ist?“ Die gereizte Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass Besucher nicht erwünscht waren.
„Ich habe ein Paket für Maria Schneider.“
„Ein Paket? Ich erwarte kein Paket.“
„Der Absender ist die Region Hannover.“ Verena hatte sich überlegt, dass ihr Arbeitgeber vermutlich die einzige Instanz war, bei der Frau Schneider die Annahme eines Pakets nicht verweigern würde. Sie behielt recht, es dauerte nur Sekunden, bis der Türöffner betätigt wurde. Im Flur war es stockdunkel und Verena musste eine Weile suchen, bis sie den Lichtschalter fand.
Während sie das Haus betrat, achtete sie darauf, dass die Haustür angelehnt blieb. Sie hörte, dass im oberen Geschoss eine Tür geöffnet wurde. Maria Schneider erwartete sie im Treppenhaus. Das mit Zeitungspapier gefüllte Paket, das Assistentin Schramm in der Poststelle des LKA organisiert hatte, bot Verena Schutz. Zumindest würde Maria Schneider sie nicht auf den ersten Blick erkennen, selbst falls sie sie auf Zeitungsfotos gesehen hatte. Mit den Worten „Sie müssen noch unterschreiben“ näherte sie sich der Frau.
Maria Schneider sah anders aus als in Verenas Vorstellung. Sie hatte eine robuste, kräftige Person erwartet. Die Frau, die vor ihr stand, war groß gewachsen und extrem mager. Ihre langen schwarzen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
„Kann ich kurz hereinkommen?“ Bevor die Frau ablehnen konnte, hatte Verena sich an ihr vorbei in den dämmrigen Wohnungsflur gezwängt. „Nein, auf keinen Fall. Stellen Sie das Paket ab und gehen Sie. Ich habe keine Zeit.“ Die Stimme der Frau überschlug sich vor Wut.
Zu spät, das erste Hindernis hatte sie erfolgreich genommen. Verena stellte das leere Paket neben sich auf den Fußboden. „Ich muss mit Ihnen sprechen, Frau Schneider. Vielleicht machen Sie erst einmal die Tür zu. Es geht um Heise und Niemann.“
Die Frau ließ sich nichts anmerken, machte wortlos die Tür zu und drehte sich zu ihr um. Sie starrte Verena an. Ihre Augen flackerten, kein Wort kam über ihre
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