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Die Staatskanzlei - Kriminalroman

Die Staatskanzlei - Kriminalroman

Titel: Die Staatskanzlei - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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war. Wie lächerlich, Fundamentalisten zu verdächtigen. Die Islamisten mussten für alles herhalten
.
    Sie stellte Teewasser auf. Der Tee schmeckte giftig. Sie zwang sich, eine halbe Scheibe Brot mit Marmelade zu essen. Seitdem sie die Tabletten abgesetzt hatte, hatte sie fünf Kilo abgenommen. Ihre Mutter hatte ihr letzte Woche einen großen Topf Linseneintopf gebracht. Der Eintopf war in der Toilettenschüssel gelandet. Warum konnte ihre Mutter sie nicht in Ruhe lassen? Sie wollte allein sein, das Zusammensein mit anderen war ihr lästig
.
    Das Anziehen strengte sie an. Sie brauchte mehr Zeit als sonst, ihre Bewegungen waren fahrig. Als sie fertig gewaschen und gekämmt vor dem Badezimmerspiegel stand und Puder auftrug, wusste sie nicht mehr, ob sie die Zähne geputzt hatte. Vorsichtshalber putzte sie sie noch mal
.
    Um kurz nach sieben verließ sie ihre Wohnung. Draußen empfing sie dichter Nebel. Es würde wieder einer dieser scheußlichen grauen Tage werden. Zu ihrer Arbeitsstelle hatte sie es nicht weit. Im Sommer nahm sie das Fahrrad, jetzt ärgerte sie sich über die qualvolle Enge in der Straßenbahn. Ein Jugendlicher rempelte sie an. Ihr Herz klopfte heftig und sie spürte, wie sich Schweiß unter ihren Achselhöhlen bildete. Was, wenn er einer von ihnen war, ein Abgesandter? Sie musterte ihn unauffällig von der Seite. Er wich ihren Blicken aus und schaute angestrengt aus dem Fenster
.
    Ihr derzeitiger Vorgesetzter war vor ihr da, was selten vorkam. Er trug seine schlechte Laune vor sich her wie ein Messdiener den Weinkelch, raunzte sie an, weil die Zusammenstellung mit den letzten Datensätzen noch nicht fertig war. Ihr Arbeitstempo lasse zu wünschen übrig. Sie schwieg zu seinen Vorwürfen
.
    Als sie ihm am späten Vormittag die Aufstellung brachte, besserte sich seine Laune. Jetzt gab er sich von seiner leutseligen Seite, philosophierte über den Mordfall. Es geschah nicht alle Tage, dass ein hochstehender Landesbeamter erschossen wurde. Genau genommen war es das erste Mal, seit er Beamter war, und das waren immerhin 28 Jahre, betonte er
.
    Für ihn stand fest, wer die Täter waren. „Die Brutalität der osteuropäischen Banden wird immer schlimmer. Für die zählt ein Menschenleben nicht. Wenn Sie mich fragen, es war ein großer Fehler, die Grenzen zu öffnen und Kriminelle aus aller Welt einzuladen, nach Deutschland zu kommen. Als die Mauer noch stand, hatten wir unsere Ruhe vor dem Gesocks.“
    Sie nickte. Ein armseliger Spießer, dessen verquere Ansichten kaum zu ertragen waren. Ihr war es egal. Hauptsache, er ließ sie in Ruhe. Dann klingelte sein Telefon. Seine Frau war am Apparat. Mit einer Geste gab er ihr zu verstehen, dass sie sein Büro verlassen sollte. Gut so, sie wollte allein sein mit sich und ihren Gedanken
.

12
    In der Presselandschaft war der Mord dominierendes Thema. Die Ermordung eines engen Vertrauten eines deutschen Regierungschefs bot Nährboden für viele Spekulationen. Die Klaviatur, auf der die Journaille spielte, war weit gefasst: islamistische Terroristen, gewalttätige Neo-Nazis, rachsüchtige Wutbürger.
    „Hat die zunehmende Radikalisierung in Deutschland ein erstes Todesopfer in einer Regierungszentrale gefordert?“, fragte die
Allgemeine Niedersachsenzeitung
und die links orientierte
Niedersachsenpresse
titelte: „Beamtenmord in der niedersächsischen Staatskanzlei – hat der braune Terror zugeschlagen?“
    Die Einrichtung einer Sonderkommission unter Leitung von Verena Hauser wurde von der Presse einhellig begrüßt. Die Polizeibeamtin hatte sich in den vergangenen Jahren einen Namen als erfolgreiche Ermittlerin gemacht. Verena selbst interessierten die Kommentare nicht, hatte sie doch die Medien mehr als einmal als launische Diva erlebt.
    Am Tag zwei nach dem Mord wartete ein Mammutprogramm auf sie. Auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle machte sie einen Umweg über Vahrenheide. Dieses Mal hielt sich niemand im Eingangsfoyer auf. Halb neun war den Jugendlichen offenbar zu früh. Aus der Wohnung von Irene Heise war das Geräusch eines Staubsaugers zu hören. Auch eine Art, sich abzulenken, dachte Verena, während sie das zweite Mal anhaltend den Klingelknopf drückte. Drinnen wurde der Staubsauger ausgeschaltet.
    Heute war Frau Heise nicht so zerknautscht wie am Vortag, das schmale Gesicht war dezent geschminkt, die Haare frisch frisiert. Zu den Jeans trug sie einen giftgrünen Pullover und pinkfarbene Schuhe.
    „Ach Sie schon wieder.“ Begeisterung hörte sich

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