Die Staatskanzlei - Kriminalroman
als Chef verschrien, als Nachbar auch. Seine Geliebte hatte sich von ihm getrennt, die Kontakte zu seiner Tochter waren oberflächlich gewesen, zu seiner einzigen Schwester beschränkten sie sich auf nichtssagende Weihnachtskarten. Mit seiner Putzfrau hatte er erst gar nicht gesprochen. Bis auf diesen Anwalt hatte er keinen einzigen Freund gehabt. Wie hatte seine Exfrau gesagt? „Sein Beruf war sein Lebensmittelpunkt.“
Letzteres ist bei mir nicht viel anders, ging es Verena plötzlich durch den Kopf. Der Gedanke stimmte sie traurig. Wenigstens habe ich mit Dagmar und Stolli zwei gute Freunde und ein enges Verhältnis zu meiner Mutter, sprach sie sich Mut zu. Und was die Kommunikation mit ihrer Zugehfrau betraf: Wochenlang hatte sie deren larmoyante Erzählungen über eine total verkorkste Ehe über sich ergehen lassen und dafür auch noch bezahlt. Zwei Stunden am Samstag von 9 bis 11. Dass sie ihre ehestress-gebeutelte Zugehfrau in dieser schweren Lebensphase nicht mit so banalen Dingen wie Putzen behelligen konnte, lag auf der Hand. Gedankt worden war es ihr, indem ihre Hilfe von heute auf morgen gekündigt hatte. Das Internet hatte ihr einen neuen Partner beschert. Seither hielt Verena ihre Wohnung mehr schlecht als recht selbst sauber.
Was machte sie da eigentlich, verglich ihr Privatleben mit dem des Ermordeten? Nicht besonders professionell für eine Kriminalbeamtin, schalt sie sich.
14
Gegen Mittag fing es an zu regnen, erst nur wenige Tropfen, die immer mehr wurden und in kräftigen Landregen übergingen. Die tief hängenden Wolken verhießen auch für die nächsten Tage nichts Gutes. Verena parkte ihr Auto direkt vor der Staatskanzlei. Ein Schild machte darauf aufmerksam, dass dieser Platz für den Ministerpräsidenten frei zu halten war. Sie legte die Parkscheibe des LKA hinter die Frontschutzscheibe.
Der Pförtner nickte devot, als sie ihren Ausweis vorlegte. Der Herr Staatssekretär erwarte sie bereits. Er erklärte ihr den Weg. Im Foyer und auf dem Flur war niemand zu sehen. Kein Laut war zu vernehmen. Waren die Beamten ausgeflogen oder schwiegen sie sich über ihren Akten aus? Keine Stimmen, kein Telefon, kein Türeschlagen. Im Olymp der Macht herrschte himmlische Ruhe. Dagegen ging es im LKA wie in einem Taubenschlag zu.
Das Vorzimmer des Staatssekretärs war nicht besetzt, die Tür zu seinem Büro stand offen. Haders, dessen weiße Haare ungekämmt wirkten, beugte sich zu ihr herunter, um sie zu begrüßen. Auf dem Besuchertisch war für zwei Personen gedeckt. Die Kaffeetassen mit bunten Pferdemotiven passten nicht zu der nüchternen Büroatmosphäre. Während der Staatssekretär unaufgefordert Kaffee einschenkte, schaute Verena sich um. Die schwarzen Ledermöbel wirkten teuer. Bilder mit Motiven aus Ostfriesland dekorierten die Wände. Neben dem Schreibtisch stand eine verkümmerte Palme. Bis auf eine dünne Mappe und mehrere Fotorahmen, vermutlich Familienfotos, einen Flachbildcomputer und eine aufwendige Telefonanlage war der Schreibtisch leer. Das Zeitalter der papierlosen Kommunikation war auch in die oberste Landesbehörde eingezogen.
Bevor sie etwas sagen konnte, ergriff Haders das Wort.
„Wir sind alle fassungslos. Der Herr Ministerpräsident hätte gerne auch selbst mit Ihnen gesprochen, sein enger Terminplan lässt das bedauerlicherweise aber nicht zu. Sie müssen mit mir vorliebnehmen. Als Leiter der Staatskanzlei bin ich ohnehin der Behördenchef.“
Übergangslos kam er auf Heise zu sprechen. Der Mann sei eine Kapazität in seinem Fach gewesen, niemand in der Landesverwaltung hätte ihm das Wasser reichen können. Verena registrierte, dass seine Miene nicht zum Lob passte.
„Deshalb hat der Ministerpräsident entschieden, dass ich vorerst seine Aufgaben übernehmen soll. Bis ein würdiger Nachfolger gefunden wird. Keine leichte Sache angesichts meiner hohen Arbeitsbelastung“, klärte er sie auf.
Verena ging das zu schnell. Er sprach von Heises Nachfolger, sie wollte einen Mord aufklären. Als Haders sich einen Keks in den Mund steckte und genüsslich kaute, nutzte sie die Gelegenheit. „Was genau waren eigentlich Heises Aufgaben, Herr Staatssekretär?“
Der reichte ihr die Keksschale. „Nehmen Sie, sehr lecker. Ein neues Produkt aus dem Haus Dahlsen. Sozusagen unser Hoflieferant.“
Sie lehnte dankend ab. Er selbst griff erneut zu. Schon wieder kauend sagte er: „Heise oblag die Koordinierung der Politik der Landesregierung. Bei ihm liefen alle Fäden zusammen.
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