Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear

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Ausrufen – inzwischen war er bei Blaue Färbemittel! Kauft Indigoblau! angelangt – hielt er plötzlich inne und beugte sich zu seiner Gefährtin hinüber, als wolle er
ihr etwas anvertrauen. Doch dann schüttelte er nur den Kopf, zog sich wieder zurück, setzte sich gerade auf und reckte die Schultern so weit wie möglich vor. Er konnte es selbst nicht fassen, dass er soeben mit dem Gedanken gespielt hatte, derartig seltsame Dinge zu äußern. Dabei konnte er sich doch gar keine Zweifel erlauben, schon gar nicht in dieser Situation.
    Penelope hatte die Armlehne von der Wagentür abgebrochen und quetschte deren Plastik und Metall wie eine Banane zusammen. Ihre Augen quollen fast aus den mit schwabbelndem Fett umgebenen Höhlen.
    Seltsame Lichtflecken tanzten über ihre Gesichter.
    Glaucous schlug sich die Hand vor Mund und Nase und starrte mit weit aufgerissenen Augen über den Daumen hinweg nach vorn.
    »Was ist das?«, kreischte Penelope mit ängstlicher Kleinmädchenstimme.
    »Das ist wahre Größe!«, brüllte Glaucous zurück. »Es bedeutet Macht und ein Versprechen, ein Gelöbnis und den Schwur ewiger Treue!« Doch seine Miene strafte seine Worte Lügen. Er hatte die Brauen zusammengezogen, und die Schweinsäuglein lagen tief in ihren Höhlen.
    Inzwischen hatte Jack seinen Arm bis zur Schulter aus dem Sack befreit und wand sich hin und her, um den Kopf durch die Öffnung zu schieben.
    »Was sagst du da?«, quäkte Penelope.
    »Etwas verfolgt uns! Ist jetzt allzu eifrig, weil es zu lange hat warten müssen!«
    » Wen oder was verfolgt es denn? Du hast doch gesagt, uns würde nichts passieren!«
    » Mir wird auch nichts passieren.« Glaucous bedachte sie mit einem schuldbewussten Blick und ließ den Van auf eine Ausfahrt rollen. Erbost, doch zugleich neugierig richtete er die eingesunkenen Augen auf den Rückspiegel. »Als ich eben hier abgebogen bin, sind mir Blitze gefolgt, als stapften riesige Füße hinter mir her. Sie folgen mir, biegen sogar ab, wenn ich abbiege! So etwas hab ich noch nie erlebt, das kannst du mir glauben, liebe Königin der summenden Geschöpfe – noch nie in meinem Leben! Wir haben noch gar keine Lieferung angekündigt, und trotzdem spüre ich etwas, das nicht nur ein Zeitriss ist. Dass die Kalkfürstin so übereifrig ist, haben wir nicht einkalkuliert. Dieser junge Bursche da hinten ist ein großer Brocken, ein größerer, als wir schlucken können!«
    Jack war über die Angst hinaus. Die süßliche, berauschende Melasse, Glaucous’ spezielle Gabe, war zu saurem Essig gegoren, stach ihm in Nase und Gehirn, eröffnete ihm kurze Einblicke in Weltlinien, die sich verzweigten und Schleifen bildeten. All das schnürte ihm die Kehle zu, denn keine dieser Weltlinien war gut. Im Gegenteil: Alle waren grauenvoll. Was hier geschah, war nie zuvor geschehen. Das sagte ihm nicht nur die eigene Erfahrung, sondern auch die jedes Vorfahren, der zur Summe der Gene beigetragen hatte, die sich in seinem Fleisch und Blut zunehmend bemerkbar machten. Und diese Gene reichten bis zum Urschleim zurück.

47
Wallingford
    Daniel streifte Freds graues Wolljackett über, zog die Schultern ein und wandte sich nach Westen. Er spürte, wie der Sturm Kraft sammelte.
    Ein plötzlicher Sinneswandel hatte seine Arroganz und die Freude über den neuen Körper ins Gegenteil verkehrt. Der Sturm war nicht hinter ihm her, bot sich aber, was ihn betraf, wunderbar als Ablenkungsmanöver an. Er war zu sehr in Gedanken gewesen, um diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen – wie unsäglich dumm!
    Höchstwahrscheinlich hielt sich ganz in der Nähe ein anderes Zielobjekt auf – ein Schicksalswandler wie er selbst. Vielleicht auch mehr als einer. Aber irgendjemand, der das Ding befehligte, das sie verfolgte, hatte vielleicht immer noch vor, auch Daniel ins Visier zu nehmen. Schließlich war er etwas Besonders. Ich träume nicht mehr von der Stadt. Warum das so ist, weiß ich auch nicht, es passiert einfach nicht mehr. Ein schlechter Hirte – so nennen sie mich doch, nicht wahr?
    Blitze ließen die Fassaden zur seiner Rechten weiß aufglühen. Jetzt war er nur noch einige Straßenzüge von der Stelle entfernt, an der er abbiegen musste, um nach Hause zu gelangen. Während er an einem großen Lampengeschäft vorbeikam, gingen alle für das Vormittagsgeschäft eingeschalteten Leuchtkörper plötzlich aus.
    Die Luft zischte.
    Mit aller Gewalt musste Daniel seinen neuen Körper vorwärtstreiben, zu dem verlassenen Haus. Die Angst