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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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feuchten Gras aufstieg, und wurde so dick wie Gelatine. Dunkelheit senkte sich über die Erde.
    Daniel fühlte sich jetzt stärker als zuvor. Mit aller Kraft versuchte er nachzudenken, wollte sich beweisen, dass er schlauer war als die armseligen Dreckskerle ringsum. Der Widerhall vom Terminus, dem Endpunkt dieser Weltlinie, würde den lokalen Massequotienten vorübergehend wachsen lassen, also würde der Fluss der Zeit sich verlangsamen. Am Endpunkt würde es für die meisten Beobachter so aussehen, als halte die Zeit an oder schleudere sie ein paar Tage oder ein paar Stunden zurück in die Vergangenheit. Und von dort aus würden sie diese kurzen Zeitsequenzen wieder und wieder durchleben, unglückselig wie Roboter, die in einer Programmschleife festsaßen.
    Fetzen der Geschichte schwammen jetzt wie Fleischbrocken in einem Schmortopf herum. Von der Zukunft war vermutlich nichts als diese Barriere übrig, an der alles abprallte. Und im Umfeld dieser Wand herrschte eine ausgedünnte, dimensionslose Leere, in der es weder Denken noch Leben gab.
    Schon vor langer Zeit und vielen Sprüngen zu Weltlinien hatte er sich, als er noch ganz und gar Daniel Patrick gewesen war, all diese Dinge zusammengereimt. Damals hatte er sich auszurechnen versucht, wie es sein würde, wenn die Zeit, in der er lebte, an ihr zwangsläufig chaotisches Ende gelangen würde.
    Die riesige gescheckte Gestalt beugte sich herunter und strich Fred – Daniel – über das kurze braune Haar und die hohe Stirn, die immer noch blutete.
    Der Nachtfalter.
    Für den Augenblick hielt Daniel still.
    Der Integralläufer. Hol ihn mir.
    Die anderen Männer hatten sich im Garten inzwischen zu einem Dreieck formiert. Kein Entkommen. »Tu, was der Nachtfalter
sagt«, befahl ihm derjenige, der ihm am nächsten war, ein schlanker alter Mann mit welterfahrenem Gesicht und einem Klumpfuß. Er stand an den Betonstufen, die durch den von Gras und Unkraut überwucherten Garten führten.
    »Selbstverständlich«, erwiderte Daniel und versuchte, einen Bogen um die dimensionslose Gestalt zu schlagen, um zu gehorchen und mitzuspielen – im Grunde die einzige Chance, die ihm geblieben war. Der wolkenbruchartige Regen prasselte auf den Boden, und die Tropfen drehten sich in der Luft, so dass er aus allen Richtungen kam, nicht in geraden Linien fiel. So viele fundamentale Regeln waren jetzt außer Kraft gesetzt.
    Werde es nie ganz begreifen.
    Der Nachtfalter streckte einen riesigen Finger hoch und hinderte ihn so am Weitergehen. Während er ihn warnte, griff er gleichzeitig nach hinten, wobei sich seine Hand zu einem einzigen Punkt zusammenzog, und berührte das Haus. Sofort bleichte es aus, wurde weiß, und seine Umrisse zerbröckelten zu Kalkstaub. Nur eine höfliche Ermahnung. Falls Daniel tat, was sie verlangten, würden sie ihn vielleicht gehen lassen und nicht umwandeln oder töten. Er empfand einen Anflug von Enttäuschung. Wer könnte wichtiger sein als ich, wer weiter springen? Wer sonst kann berechnen und begreifen, wie sich das Ende der Welt gestalten wird? Ich bin der Beste. Vielleicht wissen sie es. Sie könnten mich zu ihresgleichen machen. Zu einem Sklaven. Wahrscheinlich haben sie das vor. Wie erhebend. Na, vielen Dank auch!
    Zwei weitere lichtdurchlässige Wiedergänger waberten vorbei. Einer war Granger, der andere Fred. Auch der Nachtfalter schien sich jetzt zu verteilen und Schatten seiner unglaublichen Erscheinung auszuschicken. Dabei verausgabte er viel zu
viel Energie. Schneller als alles andere in der Umgebung des Hauses würde er gegen den Terminus prallen.
    Das Haus nahm wieder etwas Farbe an, sah aber immer noch so aus, als werde es gleich einstürzen. Selbst auf der Höhe seiner Wahrnehmungsfähigkeit, bei seiner fieberhaften Suche nach Antworten, war Daniel niemals fähig gewesen, das Multiversum in all seinen nahezu unbegrenzten Varietäten zu erkennen. Bis jetzt. Man lernt immer besonders viel, wenn etwas kaputt geht – wenn es zu sterben beginnt.
    Er hatte nur eine einzige Chance: Er musste sich an dem vorbeidrängen, den sie den Nachtfalter nannten, seinen Stein holen und sich mit aller Kraft an ihn klammern. Daniel senkte den Kopf und quetschte sich unter den verzerrten Beinen des Nachtfalters hindurch, mitten durch dessen ausgedünnte Substanz. Der gescheckte Riese flackerte noch einmal jammernd auf, dann war er nur noch ein Trugbild. Seine Ränder hatten sich aufgelöst, und jede Stärke war ihm abhanden gekommen. Er hatte die Verbindung

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