Die Stadt am Ende der Zeit
versuchen, dir die Dinge zu beschreiben und zu erläutern.«
»Wie groß ist dieses Draußen?«
»Im Chaos kann man Entfernungen schlecht messen oder beurteilen. Das ist für eure Pilger stets ein Hauptproblem gewesen: Wie kommt man von da, wo man sich zu befinden glaubt, nach dort, wo man sein Ziel zu finden hofft?«
»Das Chaos wirkt verwirrt«, bemerkte Jebrassy. »Ist noch nicht vollendet und kommt sich unvollständig vor. Mag es nicht, wenn man es in diesem Rohzustand betrachtet.«
»Eine angemessene Einschätzung. Allerdings sollten wir dem Typhon nicht unsere eigenen Motive unterstellen. Er hat andere – falls man überhaupt davon ausgehen kann, dass er irgendwelche Motive hat. So einfach wie möglich nach den Maßstäben unserer Kalpa ausgedrückt, überblicken wir hier von Horizont zu Horizont etwa tausend Meilen. Da unten – schau auf die näheren Regionen unmittelbar unter uns – kannst du einen schmalen grauen Ring erkennen, der sich bis zu einer breiteren schwarzen Grenze erstreckt. Vielleicht kannst du auch eine Art Labyrinth und eine niedrige Mauer ausmachen. «
Jebrassy folgte dem Fingerzeig des Bibliothekars und erkannte einen grauen Kreis, umgeben von einem nur vage auszumachenden dunklen Gebilde, das eine Mauer sein mochte, aus seiner Perspektive zwei Handbreit von den großen, abgerundeten, glänzenden Objekten unmittelbar darunter entfernt – den Bionen , wie er plötzlich wusste.
Der Turm ragte vom mittleren Bion empor, das beschädigt aussah. Die anderen beiden Bione schienen noch schlimmer zerstört zu sein.
»Ich hab das früher schon gesehen«, murmelte er. »Mein Besucher hat mir davon erzählt.« Sein Gesicht verzerrte sich vor Frust, doch der Bibliotheker schien zu verstehen, was er damit meinte.
»Fahr fort.«
Jebrassy versuchte, den Gedanken zu Ende zu bringen. »Es gibt dort einen Ort, der sich ständig verändert … Ich glaube, man nennt ihn die Zone der Lügen.«
»Sehr gefährlich«, sagte der Bibliothekar. »Für viele Nachgezüchtete war dort die Reise zu Ende, ehe sie richtig angefangen hatte. Aber meines Wissens haben die Instandsetzer eure Erziehung und Ausbildung inzwischen vorangetrieben.«
»Du redest hier von unseren Leben !«, empörte sich Jebrassy.
»Kein Grund, gereizt zu reagieren. Erzähl mir bloß nicht, dich würde das, was du siehst, nicht anziehen, selbst jetzt schon!«
»Ja, es zieht mich an!«, brüllte Jebrassy und versuchte sich vom Fenster abzuwenden, schaffte es aber nicht. Er war von dem Anblick wie gebannt und sehnte sich nach draußen. »Das hat es immer schon.« Die letzten Worte kamen fast wie ein Wimmern heraus.
»Ich habe meine Neigungen, und du hast deine. Im Augenblick arbeiten wir zusammen. Und wenn du nach draußen gehst, um dich deiner Gefährtin anzuschließen, wie du es dir erträumst, wirst du ihr Informationen übermitteln, die niemand sonst besitzt. Informationen, die euch beiden vielleicht helfen werden, zu überleben und euer Ziel zu erreichen. Falls
ihr es nicht erreicht, kann ich die halbe Ewigkeit von Arbeit, die ich in dieses Projekt gesteckt habe, in den Wind schreiben. Ohne Abschluss, ohne Ergebnis – ein Scheitern auf ganzer Linie. Alles, was ich darstelle, lastet also auf deinen schmalen Schultern, junger Freund. Der Typhon verleibt sich derzeit das alte Universum von Anfang bis Ende ein. Unsere Zeit und unsere Geschichte werden vernichtet, lösen sich auf, du musst ja nur aus dem Fenster schauen. Das Chaos lauert unmittelbar jenseits der Grenze des Realen.«
Jebrassy zwang sich, auf die verzerrte, eingetrübte, wirre Landschaft zu blicken. Vor der Zone der Lügen zeichneten sich zur Stadtseite hin große hohe Silhouetten gegen das Chaos ab, die so schwer auszumachen waren, als wären sie in Nebel gehüllt. Die Verteidiger .
»Nur drei Fäden verbinden uns jetzt noch mit der zerstörten Vergangenheit, die bald über uns hereinbrechen wird: der Lebensfaden deiner Gefährtin, die demnächst ins Chaos aufbrechen wird, dein eigener und der eines weiteren Geschöpfes. Dieses gehetzte Wesen war gezwungen, alle Prinzipien fahren zu lassen, und schert sich nur noch wenig um das Leben, egal in welcher Form, sieht sich jedoch gezwungen, hierher zurückzukehren .«
Jebrasssy runzelte die Stirn und versuchte, eine schwer greifbare Erinnerung aus dem Gedächtnis zu kramen, bei der es um so etwas wie Hass und um Mitgefühl ging.
Das Epitom klopfte mit dem weißen Finger gegen die Kristallscheibe. »Eure Leben – deines,
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