Die Stadt am Ende der Zeit
Schuldgefühle zu haben. Er wiederholte seine Instruktionen: »Niemand weiß, was euch erwartet. Euer Panzer verfügt über reaktive Schutzmechanismen. Er wird schneller lernen als ihr und alles tun, was in seiner Macht steht, um für eure Anpassung zu sorgen und euch vor den Gräueln des Typhon zu schützen. Eure Visiere werden
alles, was Strahlung sein könnte, in Photonen umwandeln, die ihr sehen könnt und die euch nicht schaden werden. Hin und wieder kann es vorkommen, dass die Anzüge nichts finden werden, was sich zur Umwandlung eignet, dann werdet ihr nur etwas Dunkles sehen oder Annäherungen, die auf früheren Erfahrungen beruhen. Je enger ihr als Gruppe zusammenbleibt, desto besser können eure Schutzanzüge miteinander kommunizieren und das Vorgehen koordinieren. Es ist unklug, zu sehr umherzustreifen oder euch zu weit zu verteilen. Allerdings sind die Entfernungen da draußen schwer abzuschätzen, selbst mit der besten Ausrüstung. Mag sein, dass es dort Versuchungen gibt. Die Wächter werden alles daran setzen, dass ihr eure Generatoren abschaltet und eure Schutzanzüge ablegt. Solltet ihr solchen Versuchungen nachgeben, zählt ihr nicht mehr zu den Nachgezüchteten, sondern werdet in die Schreckensherrschaft des Typhon einverleibt – als Monstren, wie jene, die in großen Teilen des Chaos zu finden sind. Und manche, die versagt haben, selbst die Besten und Tapfersten, setzt der Typhon gegen die Kalpa ein.«
Pahtun rang um Worte. »Es kann passieren, dass die Verteidiger ausfallen und ihr jeden Kontakt mit dem Leitstrahl verliert. Dann ist die letzte Möglichkeit die Selbstvernichtung. Eure Schutzanzüge werden euch diese Gnade erweisen.«
Tiadbas Anzug löste keinen Juckreiz mehr aus und rieb auch die Haut nicht mehr wund. Sie konnte ihre Haut gar nicht mehr spüren. Auch die Pelzbehaarung, die vom Anzug an manchen Stellen zusammengedrückt worden war, so dass es gejuckt hatte, schien sich an diese zweite Haut gewöhnt zu haben. Zweifellos steuerte dieser Panzer mittlerweile all ihre körperlichen Empfindungen. Vielleicht würde sie bald kein lebendiges
Wesen mehr sein, sondern nur noch eine vom Schutzanzug gesteuerte Marionette. Was würde Grayne denken, könnte sie die Gruppe jetzt sehen? Wie hätten sie besser auf den Marsch vorbereitet, besser ausgebildet sein können?
»Wir müssen los«, sagte Pahtun und griff sich mit einer Hand an die Schulter. Die vier Begleiter richteten sich zu voller Größe auf und streckten ihre Stäbe hoch. »Wir haben nur ein kurzes Zeitfenster und müssen durch das Tor, ehe es sich wieder schließt.«
Sie marschierten los.
Die mobilen Hälften der Helme, am Nacken befestigt, schwangen im Takt ihrer Schritte hin und her. Ihre Stiefel machten leise, hohle Klappergeräusche. Als Gruppe klangen sie wie Acker-Pedes, die über trockenen, harten Boden trotteten.
Viele Kilometer hatten sie das riesige Bogengewölbe über sich, dessen eine Seite vom Tageslicht des fernen künstlichen Himmels erhellt war, während die andere … im Dunkel lag. Die Geräusche wandelten sich auf eine schwer zu beschreibende Weise. Tiadba hatte während ihres ganzen bisherigen Lebens in den Ebenen das emsige Summen von Stimmen und deren Widerhall in den Ohren gehabt, ihre Gefährten gehört, wenn sie sprachen, sich bewegten oder laut dachten. All das fiel jetzt plötzlich weg, und an seine Stelle trat etwas Neues: erstarrte Stille, armselige Leere, allen Lebens beraubt, Einsamkeit, die dennoch etwas Stolzes hatte und älter war, als irgendeiner von ihnen sich vorstellen konnte.
Die Ebenen am Fuß aller anderen Stockwerke waren innerhalb der Kalpa stets isoliert gewesen, anders als alles ringsum, etwas Besonderes . Wie viele Marschteilnehmer mochten diese Reise schon angetreten haben, genauso verängstigt wie Tiadbas
Gruppe, ebenso einsam und weit von allem entfernt, das sie kannten?
»Still hier«, bemerkte Khren.
Und es lagen noch viele Kilometer vor ihnen. Hunderte? Tausende?
Wir lassen die Ebenen für immer hinter uns zurück.
Wir marschieren mitten ins Chaos hinein.
Ob ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten oder die Luft aufgeklart hatte, vermochte Tiadba nicht zu sagen, doch plötzlich konnte sie auf beiden Seiten des Bogengewölbes regelmäßige Rechtecke erkennen – größer als der größte Block der Ebenen.
»Was ist das?«, fragte sie leise. Hier draußen hatte sie das Gefühl, es könne sogar noch wichtiger als sonst sein, Respekt zu zeigen.
»Die
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