Die Stadt am Ende der Zeit
das deiner Gefährtin und die eurer beiden Traumpartner – sind wie Perlen an den verbliebenen Strängen des Kosmos aufgereiht und steuern auf einen Zusammenprall zu. Falls alles gut geht, wird dieser Zusammenprall
in Nataraja stattfinden. Denn dort werdet ihr hinziehen, wie es auch alle früheren Marschteilnehmer versucht haben. Es gibt kein anderes Ziel. Ihr müsst das bewältigen, woran Sangmer gescheitert ist.«
Jebrassy dachte unwillkürlich an die Bücher und Geschichten, zu denen Grayne sie planvoll hingeführt hatte. »Du bist derjenige, der die Bücherregale in die Ebenen gebracht hat, stimmt’s?«
»Eine Erscheinung von mir«, erwiderte das Epitom. »Ist noch nicht sehr lange her.«
»Wie lange?«, fragte Jebrassy aufmüpfig.
»Was, wenn ich sagen würde, hundert Millionen Zyklen? Könntest du sie zählen, dich an alle erinnern, auch nur ahnen, wie lang diese Zeitspanne ist?«
Jebrassy versuchte, ein Blickduell mit dem Bibliothekar auszufechten, gab aber schließlich auf. »Nein.«
»Wir sind Kinder unserer Zeit und unseres Raums. Selbst dieses Epitom kann sich ohne fremde Hilfe kaum eine solche Zeitspanne vorstellen, du brauchst dich also nicht zu schämen. Und es ist noch viel länger her.«
66
Die Grenze des Realen
Sie hatte es stets vorgehabt.
Sie würde es jederzeit wieder tun.
Immer schon hatte Tiadba an einem Marsch teilnehmen wollen. Lange, bevor sie Jebrassy kennenlernte; lange, bevor Grayne
ihr auftrug, den jungen Krieger anzuwerben; lange, bevor sie sich verliebte; lange, bevor sie ihren Krieger verlor.
Und hier war sie nun, steckte in einem geschmeidigen orangefarbenen Schutzanzug, empfand keine Angst, nur den Schmerz der Trauer und Einsamkeit, der sie nie verlassen würde – und die Gewissheit, dass sie für diese Sache wie geschaffen war. Dafür geschaffen, die Ebenen und die Stadt selbst zu verlassen, die Grenze des Realen zu überschreiten, sich außer Reichweite der großen Realitätsgeneratoren zu begeben. Dafür geschaffen, das Chaos zu durchqueren und sich anzusehen, was auf der anderen Seite lag.
Pahtun nahm Tiadba und Khren beiseite und teilte ihnen mit, sie seien jetzt Gruppenleiter. »Ich werde euch so weit, wie es geht, begleiten. Allerdings werde ich nicht weiter als bis zur äußeren Grenze der Zone der Lügen mitkommen, denn ich muss zur Kalpa zurück. Auf uns wartet die letzte Schlacht.«
Als Tiadba zu Khren hinüberblickte, fiel ihr auf, wie aufmerksam er dem Ausbilder zuhörte. Von Jebrassys herumalberndem jungem Freund war keine Spur mehr übrig geblieben. Auch Khren war fest entschlossen, diese Sache durchzuziehen. Sie fragte sich, ob dieser Wille in allen Nachgezüchteten der alten Art angelegt war.
Unterstützt von den vier Begleitern, machte die Gruppe sich daran, den kleinen Rollkarren vorwärtszuschieben, mit dem sie ihre Klaven und zwei mobile Generatoren befördern wollten.
Pahtun stand auf und wiederholte das, was er bereits gesagt hatte, so oft, dass es allen schon zu den Ohren herauskam und dadurch fast beruhigend wirkte. »Der Leitstrahl der Kalpa leuchtet ständig. Sein Pulsieren wird euch stets zeigen, in welcher
Richtung die Stadt liegt. Hin und wieder kann es passieren, dass der Zeuge die Ausstrahlung behindert, vielleicht absichtlich, aber wenn ihr kurz abwartet, bekommt ihr das Signal wieder herein. Bei euch allen sind die Schutzanzüge entsprechend ausgerüstet. Auf keinen Fall dürft ihr mit der Stadt kommunizieren, denn ihr dürft das Chaos nicht auf euch aufmerksam machen. Im Chaos gibt es Wächter jeder Form und Größe, die sich ständig verändern, aber in ihrer Wachsamkeit niemals nachlassen. Das Chaos ist gierig.«
Khren stellte sich neben Tiadba und sah sie durch sein goldfarbenes Visier an.
»Und jetzt … ist die Zeit gekommen, euch euer Reiseziel zu nennen«, fuhr Pahtun fort. »Seit Sangmers Tagen ist es das Ziel aller Pilgerreisen gewesen, der einzige andere Punkt auf der Erde, wo vielleicht noch die Vernunft regiert und die Kalpa Unterstützung bekommen kann. Es ist die Rebellenstadt Nataraja. Wenn alles gutgeht, werdet ihr dort mit allen Verbindung aufnehmen, die noch nicht unter die Herrschaft des Typhon gefallen sind. Ihr werdet mit ihnen zusammenarbeiten, ihnen erzählen, was ihr wisst, und ihre Anweisungen befolgen. Glaubt mir, junge Freunde, ich würde mit euch gehen, wenn ich könnte.«
Tiadba strich über die Tasche an ihrem Bein, in der ihr Bücherbeutel steckte.
Pahtun wirkte nervös, schien sogar
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