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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Versuchte sich zum Schlafen zu zwingen, zum Träumen, zum Überwechseln an den Ort, wo sich Ginny befand. Doch stattdessen, ehe er sich in den Griff bekommen und beherrschen konnte, tat er mit schierer Willenskraft einen Schritt ganz anderer Art: Er sprang. Und prallte trotz der Anstrengung von etwas unglaublich Hartem ab, so dass er halb vom Bett fiel. Er fühlte sich so, als hätte ihm jemand mit dem Hammer eins übergezogen, und seine Muskeln verkrampften sich. Also legte er sich zuckend und schwitzend wieder hin.
    Wie dumm von mir. Alles ist zerquetscht, zerfressen und auf höchstens zwei oder drei Schicksalslinien zurückgestutzt, staut sich vor dem, was Bidewell den Terminus nennt.
    Jack wusste es, dennoch empfand er quälende Angst und Enttäuschung. Er saß genauso in der Falle wie alle anderen auch.
    All diejenigen, die ich stets hinter mir zurückgelassen habe. Die Angst führt zum Springen. Und das Springen dazu, dass die Menschen einen vergessen. Wie, zum Teufel, konnte ich bloß annehmen, ich hätte etwas Besseres verdient?
    Er stützte sich auf einen Ellbogen auf, rieb sich den Hals und den Brustkorb. Zumindest hatte er bei dem früheren Sprung etwas Wesentliches herausgefunden.
    Jenseits des Lagerhauses, in der von Zeitverzerrungen heimgesuchten Welt, in der Dunkelheit voller Aschestaub war Burke zu einem hilflosen Gespenst mutiert. Der durchnässte Fußboden ihrer gemeinsamen Wohnung war so von Spritzen übersät gewesen, als hätte sich dort ein Rasen aus stählernen Stacheln
gebildet. Durch die Fenster, an denen keine Gardinen mehr hingen, hatte er den Horizont bis zum Stadtrand überblicken können und dabei festgestellt, dass der Himmel wie ein zerknitterter, zerschlissener Teppich aussah, den jemand aufgerollt hatte.
    Jetzt gab es zwei Städte am Ende der Zeit.
    Seattle war die zweite.
     
    »Kannst du nicht schlafen?« Daniel stand mit verschränkten Armen am Eingang zu Jacks Nische. Jack wandte sich um und musterte den fülligen Mann mit dem Teigtaschengesicht. Er hatte eine leicht geschwungene Nase und sanfte grüne Augen. Doch was diese Augen ausstrahlten, passte nicht zum Gesicht: eine zügellose Gerissenheit, die bei der Miene, die aus alter Gewohnheit Zufriedenheit und Neugier ausdrückte, völlig unangemessen wirkte. »Hast du Schuldgefühle, weil du überlebt hast und die anderen nicht?«
    »Nein. Das trifft es nicht ganz.«
    »Glaucous redet gerade mit Bidewell. Das Mädchen schläft. Sieht nicht gerade glücklich aus.«
    »Sie heißt Virginia.« Jack unterdrückte die Empörung darüber, dass Daniel in Ginnys Nische geschaut hatte. »Hast du keine Träume?«
    »Alles ist nur schwarz. Vielleicht träume ich von einem großen tiefen Nichts. Wie steht’s mit dir?«
    Etwas schien mit diesem Mann, der aus den Augen eines anderen blickte, ganz und gar nicht zu stimmen. Doch wie konnte er es wissen? Nur weil Daniel zusammen mit Glaucous hier aufgetaucht war – zwei von vielen Seevögeln, die vor einem Sturm flüchteten?
    »Ginny und ich träumen von dem gleichen Ort«, erwiderte Jack. »Deshalb sind wir hier.«
    Daniel murmelte irgendetwas Zustimmendes, das zugleich ausdrückte, wie herzlich egal ihm das war. »Wir sollten Bidewell und Glaucous ausspionieren, sie belauschen, meine ich, und danach auf das Dach steigen und selbst nachsehen, was sich tut. Ich hab eine Leiter gefunden.«
    Nach kurzem Überlegen rappelte Jack sich hoch. »Also gut.« Für den Augenblick konnte er sich auf das Spielchen einlassen.
    Während sie durch das Labyrinth voller Kisten auf die stählerne Schiebetür zugingen, schloss sich Minimus ihnen an. Daniel blickte nach unten. »Katzen sind von Natur aus Schicksalswandler«, bemerkte er. »Neun Leben, stimmt’s? Als Kind hab ich mich mit ihnen befasst. Sie bewegen sich schnell und kümmern sich nicht um das, was sie hinter sich zurücklassen. Ich glaube nicht, dass diese hier Glaucous mag.«
    Minimus hockte sich hin. Sie blieben stehen, um auf den Kater zu warten, aber er blinzelte nur und verschwand durch irgendeine Lücke.
    Daniel fuhr mit den Fingern über die Kisten. »Ich hasse es, wenn mich so viele Bücher umgeben. Ein oder zwei sind in Ordnung, aber nicht Tausende.«
    Als sie die Tür erreichten, legte Daniel das Ohr an das kühle Metall. Jack tat es ihm nach, obwohl es ihm nicht gefiel, den Gefolgsmann zu spielen. Zwei Stimmen drangen schwach durch den Stahl. »… Gemeinsam schaffen sie vielleicht, was zwei allein nicht erreichen können«, sagte die

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