Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
dann das geschehen?«
    Er deutete auf einen phosphoreszierenden Riss im Himmelsvorhang, durch den ein riesiger Feuerring rund um ein entsetzlich dunkles Zentrum zu sehen war. Der Ring nahm fast zwei Drittel des Himmels ein. »Das ist nicht unsere Sonne. Und das ist auch nicht unsere Stadt. Jetzt nicht mehr.«

KEINE NULLEN
    Beobachter sind wie kleine Musen: Was sie sehen, verarbeiten sie auf der Grundlage der ihnen vorgegebenen Gesetzmäszigkeiten, doch auch aufgrund ihrer eigenen Schlüsse. Unter der Maszgabe, dasz das was sie denken die Wirklichkeit sei. Und diese Wirklichkeit gründet auf den Erfahrungen ihres Lebens, auf dem was sie sehen und wissen, auf den Wahrheiten die in ihre Körper eingemeiszelt sind.
    Jede Gruppe von Beobachtern erzeugt eine Art lokaler Wirklichkeit. Die indess nicht allzu weit vom Consensus der Musen, von ihren unabdingbaren Gesetzen, abweichen kann. Doch dieser Spielraum verleiht dem Kosmos mehr Stabilität als jedes starre Regelwerk es könnte, denn damit öffnet er sich Beobachtern und heiszt auch deren Sichtweisen willkommen. Hin und wieder können sehr kluge Beobachter die Musen sogar beeinflussen und damit den ganzen Kosmos. Und so bringt Mnemosyne diese vorwärts und rückwärts gerichteten Impulse die wir schon eingangs erörterten in groszem Maszstab stets aufs Neue miteinander in Einklang.
    Uns hat ein Schöpfer nicht im eigentlichen Sinne geschaffen. Vielmehr folgen wir notwendig aus der Natur die dem Kosmos als unteilbarer Substanz innewohnt. Denn in der Tat ist alle Schöpfung ein Zusammenspiel des Groszen und des Kleinen bei dem alles stets miteinander verbunden und voneinander abhängig ist. In diesem Zusammenspiel gibt es keine Fürsten, keine Könige,
keine ewig herrschenden Götter. Dennoch sind hier Kräfte am Werk die über Zeit und Schicksal walten und unabhängig von unserem eigenen Wollen letztendlich Ausgleich und Gerechtigkeit herstellen.
    Am Leben zu sein heiszt blind zu sein. Am Leben zu bleiben ist mühselige Arbeit. Und wenn unsere Arbeit getan und die Last von uns genommen ist, wird unser Lohn sein, der Freude der Substanz, die allem innewohnt, wirklich teilhaftig zu werden und in ihren Glanz einzutauchen. Doch diese Einsicht erlangen nur die Weisesten und die gröszten Narren unter uns.
    Aus den Chroniken der Begründer von Lagado
Ein verschollener oder apokrypher Text von Spinoza

68
Das Chaos
    Trotz aller Bemühungen ihrer Schutzanzüge spielte ihnen das Licht im Chaos viele Streiche. Entfernungen, die über den Umkreis weniger Meter hinausreichten, konnten sich auf unvorhersehbare Weise perspektivisch verkürzen oder auch verlängern. Besonders Nico machte das so zu schaffen, dass er häufiger als die anderen unter einer Störung seines Gleichgewichtssinns litt. Schließlich verkroch er sich in eine kleine Bodensenke, um sich zu übergeben. Doch das ließ sein Schutzanzug nicht zu.
    Während Khren und die anderen die Bodensenke umkreisten, kniete Tiadba sich neben ihn. Allen war inzwischen schwindelig.
    »Könnte ich doch nur kotzen, dann würde ich mich besser fühlen«, jammerte Nico hinter dem transparenten, golden schimmernden Visier.
    »Dann hättest du im Helm eine einzige Schweinerei«, entgegnete Tiadba.
    »Ich könnte ihn ja kurz absetzen …«
    »Dafür ist es zu spät«, sagte Denbord und kniete sich ebenfalls hin. »Ich fühl mich auch nicht gerade gut.«
    »Hört mal, ich pisse und scheiße doch auch in den Anzug. Wieso soll ich dann nicht auch kotzen?«
    »Verkneif dir jeden Gedanken daran«, erwiderte Tiadba. »Und hör auf, in den Himmel zu starren.«
    »Ich kann aber nicht anders. Ständig verändert er sich. Ich sehe weg, sehe wieder hin, und jedes Mal ist er anders, abgesehen von dem Ding da oben. Brennt ständig, nur das Zentrum nicht, als wäre dort ein großes Loch. Wenn es entflammt ist, warum brennt es dann nicht überall? Was soll das überhaupt sein?« Seine Stimme war schrill geworden.
    Das beängstigende Hochgefühl, das die Gruppe noch vor wenigen Stunden empfunden hatte, war einem Unbehagen gewichen, das schon fast an Panik grenzte. Doch ihre Anzüge waren nicht dafür ausgerüstet, ihre Emotionen zu regulieren, und konnten sie nur begrenzt unterstützen.
    Mehr und mehr war Tiadba davon überzeugt, dass Graynes Begeisterung über die angeblich so luxuriöse Ausstattung für dieses Abenteuer fehl am Platz gewesen war. Tiadba musste häufig schlucken, ihr Gesicht brannte, die Arme juckten inzwischen wieder, und ihr taten die

Weitere Kostenlose Bücher